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Hexengericht

Hexengericht

Titel: Hexengericht
Autoren: Stefan Fandrey
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Schadenszauber oder sonstige Hexerei bemerkt?«
    In Jeans Augen glomm der Funke des Verstehens. »Ihr meint, sie ist eine Hexe, ehrwürdiger Vater? Nein, nein, das ist völlig ausgeschlossen. Sie …«
    »Das zu beurteilen, überlass mir allein!«, unterbrach Henri, und Jean duckte sich wie ein geschlagener Hund. »Und jetzt denk nach! Hast du jemals ein Kind verloren? Ist eines deiner Kinder oder dein Weib je ernsthaft erkrankt?«
    Fieberhaft überlegte Jean. »Kinder haben wir keine verloren«, sagte er. Allmählich ahnte er, worauf der Prior hinauswollte. »Ehrwürdiger Vater, ich versichere Euch, dass Anne eine ehrbare Frau ist.«
    »Mir scheint, du bist dir nicht im Klaren darüber, welche Konsequenzen deine Weigerung, mir Auskunft zu geben, nach sich ziehen kann«, sagte Henri mit eiskalter Stimme. »Du erfüllst deine Pflichten dem Kloster gegenüber nicht, was allein deiner Faulheit und der deiner Familie geschuldet ist. Dein Hof und du gehört der Kirche. Ich kann dich zertreten wie eine Assel, und es wird keinen scheren. Ich kann deine Kinder verkaufen und deine Frau auf den Scheiterhaufen bringen. Aber ich kann dir auch die Freiheit schenken. Dieser Hof könnte dir gehören und alles, was darauf wächst und gedeiht. Du könntest gut für deine Familie sorgen. Es würde euch an nichts fehlen. Also, denk nach!«
    Jean schluckte schwer. »Vor einigen Jahren war einer meiner Söhne sehr krank«, sagte er schleppend. »Sein Bauch war hart wie Stein, und er erbrach alles, was er zu sich nahm. Das Leben wich aus ihm wie Getreide aus einem aufgeschnittenen Sack.«
    »Gut, gut«, sagte Henri. »Ich nehme an, dass Anne Langlois zuvor bei euch im Haus war?«
    »Nein, ehrwürdiger Vater.«
    Henri schnaufte. »Hör zu: Anne Langlois war bei euch im Haus am Tag, bevor dein Sohn krank wurde.«
    Mit gesenktem Kopf sagte Jean Brillon: »Ja, am Tag zuvor war Anne bei uns.«
    »Und du hast gesehen, wie sie heimlich Formeln in einer unbekannten Sprache aufgesagt hat und in jeder Ecke des Hauses umgedrehte Kreuze schlug.«
    »Ja, das habe ich gesehen.«
    Zum ersten Mal lächelte Henri. »Deine Felder hat sie auch verhext, um dir Schaden zuzufügen. Deine schlechten Ernten sind allein auf Teufelswerk zurückzuführen.«
    »In der Tat, so ist es«, flüsterte Jean.
    »Hast du jemals fleischliche Lust nach Anne Langlois verspürt?«, fragte Henri weiter.
    Tränen stiegen in Jeans Augen hoch. »Ja, das habe ich.«
    Unberührt starrte Henri den Bauern an. »Nun, gut. Bist du willens, diese, deine heute gemachten Aussagen vor Gericht zu wiederholen und vor Gott zu bezeugen?«
    »Das bin ich, ehrwürdiger Vater.«
    »Dann besprich dich mit deinem Weib, dass sie deine Angaben bestätigen kann«, sagte Henri abschließend. Er wartete keine Antwort ab, sondern stieg wortlos auf sein Pferd. Einen Moment lang stach sein Blick in Jean Brillons Augen, dann ritt er davon.
    Unfähig zu denken, stand Jean da und blickte dem dunklen Reiter nach. Da ging die Tür seines Hauses auf. Lisette kam auf ihren Mann zu und umarmte ihn von hinten. »Ich habe Stimmen gehört«, sagte sie. »Mit wem hast du gesprochen?«
    Jean wandte sich um. Er wich ihrem Blick aus und antwortete tonlos: »Mit dem Teufel, Lisette. Mit dem Teufel.«
Im Hexenturm von Rouen
    I n den folgenden zwei Monaten fiel es Raphael schwer, seiner Arbeit an den alten Schriften mit der gewohnten Sorgfalt nachzugehen. Henri hatte er seit ihrem Ritt nach Rouen nur bei den Gebeten gesehen. Offenbar war es dem Prior mühelos gelungen, ohne die Hilfe seines Vorgängers die Leitung des Klosters zu übernehmen. Raphael war dies nur recht. Solange er sich nur seiner Arbeit widmen konnte, stimmte ihn die Abwesenheit Henris nicht trüb. Dennoch kreisten seine Gedanken ständig um diesen seltsamen Mann, der die Aura eines eisbedeckten Felsens hatte. Ihr Ausritt ließ Raphael nicht zur Ruhe kommen. Die Reaktionen von Anne und ihrer Tochter Luna, als sie Henri erblickt hatten, wollten sich ihm nicht erschließen. Und dann die Panik in Henris Augen, als er Annes gewahr wurde, und seine überstürzte Flucht. Es gab eine Verbindung zwischen den dreien. Nur welche? Was hatte ein Mönch, der die letzten Jahre in Rom verbracht hatte, mit einer einfachen Frau wie der Langlois zu schaffen? Die zwei konnten sich zuvor kaum jemals über den Weg gelaufen sein. Oder doch? Und Luna? Gewiss, er kannte das Gerede der Leute über dieses Kind, schenkte dem jedoch wenig Glauben. Wie passte sie in das Bild? Hatte sie
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