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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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Kanzler Doktor Brandt verwies. Da dieser mich im gleichen Saal anhand der Akten vom Stand der Prozesse unterrichtete, konnte ich nicht umhin, das Gespräch des Bischofs mit der Frau mit anzuhören.
    Ich erschrak, als ich erfuhr, welches das Anliegen sei, für das sie meine Hilfe beansprucht hatte. Sie legte ganz offen und ohne Scheu Fürbitte ein für die Hexen in der Stadt, die nach ihrer Meinung gar keine seien. Das brachte sie recht herzbeweglich und überzeugend vor. Aber ich brauche Euch wohl nicht daran zu erinnern, mein Vater, daß schon der Hexenhammer lehrt und alle Autoritäten es seitdem bestätigt haben: Gerade Mitleid mit den Hexen und das Leugnen ihrer Schädlichkeit sei ein schweres, fast untrügliches Indiz für die eigene. Schuld. Das weiß jedes Kind, und diese Frau hätte es nicht gewußt? Oder konnte sie nicht anders, weil sie selbst eine von denen ist, für die sie bat? Der Bischof wies denn auch ihre Bitte mit harten Worten zurück und hieß sie schweigen. Sonst aber schien er keine Folgerungen ziehen zu wollen aus ihrem Leichtsinn oder Ihrer unbedachten Selbstbezichtigung. Denn als sie schon an der Tür war, rief er sie zurück und gab ihr aus freien Stücken das Versprechen, daß weder sie noch die Ihren von den Prozessen etwas zu fürchten hätten, welche Gunst sie wenig dankbar, sondern mit schnippischem Hochmut aufnahm.
    Dem Doktor Brandt merkte ich trotz seiner starren Miene an, daß ihn der ganze Vorgang ebenso wunderte wie mich. Um so weniger konnte ich das Ganze verstehen. Niemals hätte ich dieser Frau nach ihrem ganzen Wesen etwas Teuflisches zugetraut. Wie aber soll ich nach dem, was ich selbst miterlebt habe, nun über sie urteilen? Sie hat nicht nur höchst verdächtige Reden geführt, sondern auch noch zwei Menschen wider oder ohne ihren Willen dazu gebracht, nach ihren Wünschen zu handeln: den Bischof und mich. Ich begreife meine eigenmächtige Hilfsbereitschaft immer weniger, und der Bischof hat sie gegen seinen deutlich verkündeten Entschluß immerhin angehört, wenn er auch ihre Fürbitte zurückgewiesen hat. Aber das Versprechen, das er ihr gab, ist um so merkwürdiger. Womit hat sie diese Nachsicht verdient? Oder was gibt ihr die Macht, auf so sanfte Art ihren Willen durchzusetzen? Ich sehe, daß mein neues Amt mich vor Fragen stellt, vor denen mein inneres Gefühl versagt.
    Ich kann diesen Brief nicht schließen, ohne noch einmal in die oftmals gerügte Anfechtung zu fallen und Euch zum letzten Mal zu fragen, ob es mir für alle Zeit versagt bleiben muß, zur indischen Mission oder in die Neue Welt entsendet zu werden? Es ist der Wunsch meines Herzens, seit ich denken kann, und der eigentliche Antrieb für meinen Eintritt in den Orden. Dies Ziel wenigstens für spätere Jahre erhoffen zu dürfen, wäre schon ein Trost. Ich fühle, daß Ihr mir zürnt, mein Vater. Aber noch einmal mußte ich diesen Wunsch aussprechen, ehe ich ganz auf ihn verzichte und mich im Gehorsam beuge.
    Haltet, verehrter Freund und Vater, meiner Übermüdung zugute, was Euch etwa an diesen Zeilen mißfällt, und seid in Demut gegrüßt von Eurem
    Pater Friedrich

Am nächsten Tage wußte es die ganze Stadt. Die Schreiber hatten bis in die Nacht an den Kopien gearbeitet, und am frühen Morgen gelangte der Erlaß in alle Amtsstuben. Dennoch war es erstaunlich, wie schnell sein Inhalt unter die Leute gekommen war, wie ein fliegender Same, eine Ansteckung. Schon am Vormittag standen sie in Gruppen auf dem Markt und in den Gassen und beredeten die neue Verordnung. Sie waren sich darüber einig und äußerten laut ihre Zufriedenheit mit diesem Entschluß Seiner Fürstlichen Gnaden. Ein Segen sei es, daß die Obrigkeit endlich ein Einsehen habe und mit dem Gesindel ein Ende zu machen also fest entschlossen sei. Das Maß war voll. Zwei Pestjahre und ebenso viele Mißernten waren mehr als genug. Man war ja seiner Gesundheit und seines Lebens, ja seiner ewigen Seligkeit nicht mehr sicher bei dieser Überhandnähme der Unholden. Ein wahrhaft gottgefälliges Werk war es, sie auszurotten – ja, das war es.
    Das hörte man überall und von jedem. Nur wenige – wenn auch nicht so wenige, daß es unbemerkt geblieben wäre –, schielten beim Reden scheu nach rechts und links, ob irgend jemand sie scharf anblickte. Alle aber, ob Bürgersfrau oder Hökerin, Ratsherr oder Handwerker, hatten irgend jemand im Sinn, einen Nachbarn, eine gute Freundin, von denen sie hofften, daß ihre Bosheit bei dieser Gelegenheit die
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