Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt
Autoren: Ingeborg Engelhardt
Vom Netzwerk:
»Denkt Euch, Herr Doktor, sie haben mich zum Malefizschreiber bestellt.«
    Sebastian meinte – um nur etwas zu sagen –, der Kilian sei wohl noch ein wenig jung für dieses Amt.
    »Das sagen sie alle!« sprudelte der Bub hervor. »Alle sind sie mir neidisch auf der Kanzlei. Aber ich bin nun einmal der Beste unter den Jungen, im Schönschreiben und in der Schnelligkeit auch, und mit den lateinischen Wörtern komm’ ich auch zurecht. So haben die Herren halt mich ausgewählt, ‘s ist auch nur zur Aushilfe einstweilen, weil’s der alte Vogelseim nimmer schafft.«
    »Der Vogelseim«, erwiderte Sebastian, »ist ein alter, kranker Mann. Ich gönn’s ihm, daß er von der Arbeit loskommt. Aber du – würdest du sie wirklich so gern übernehmen?«
    »Und ob!« strahlte der Bub. »Ich krieg’ ja viel mehr Geld als sonst und dann noch für jeden Verurteilten einen halben Gulden extra, denkt doch nur!«
    »Ja, ja, das ist eine gute Sache für dich, aber auch keine leichte Arbeit, Kilian. Du wirst viel blutigen Jammer sehen.«
    »Hat mir der Vogelseim schon erzählt. Aber was tut das? Das sind doch nur die bösen Weiber, die schlechtes Wetter machen und Pest und Hungersnot. Soll ich Mitleid haben mit denen? ‘s ist doch ein gutes Werk, die ausrotten helfen.«
    »Stell dir’s nur nicht zu leicht vor, Kilian! Du wirst des Teufels Atem nahe genug zu spüren bekommen. Schon mancher ist ihm verfallen, wenn er noch glaubte, gegen ihn zu kämpfen.«
    »Mir macht keiner Angst, Herr Doktor! Und wenn’s auch wirklich so schlimm wäre, ich müßte doch ein Narr sein, wenn ich die Gelegenheit ausließe. Ich will doch was werden. Mein Vater ist Stadtschreiber gewesen.«
    »Ja, ich weiß.« Nachdenklich betrachtete Sebastian das frische Bubengesicht, das auch die Kanzleiluft noch nicht gebleicht hatte. Wie aber würde es nach einem Jahr aussehen oder nach zweien? Schade um dich, Kilian Poscher! dachte Sebastian. Dann fiel ihm etwas ein, und er fragte: »Willst du mir einen Gefallen tun, Kilian?«
    »Euch immer, Herr Doktor!«
    »Dann schreib doch, da du mit der Feder so geübt bist, einmal daheim auf, was dir von den Prozessen im Gedächtnis bleibt, nicht das gleiche wie in den Protokollen, mehr was du dir so dabei denkst – eben das, was nicht in die Akten kommt.«
    »Wollt Ihr das lesen? Soll ich es Euch aufschreiben?« fragte der neue Malefizschreiber argwöhnisch.
    »Nicht für mich, Kilian, nur für dich selbst und später für deine Kinder, daß sie einmal sehen, an welch großem Werk du mitgewirkt hast. Es kann dir auch nützen, denn es wäre eine gute Übung. Vielleicht wirst du ja auch einmal Stadtschreiber.«
    Der Kilian wurde ganz rot vor Stolz. Dann aber, da der Doktor nichts weiter sagte, dankte er für den guten Rat, schwenkte den Hut und verschwand in der Dämmerung, mit schlenkernden Armen, lustig pfeifend.
    »Warum hast du ihm das aufgetragen?« fragte Veronika später, als Sebastian ihr von der Begegnung erzählte. »Wenn du es doch selbst nicht lesen und niemals wissen wirst, ob er es tut, und wie es gerät? Was ist dann der Sinn?«
    Sebastian erwiderte: »Ich will, daß er nachdenkt. Das ist alles, was ich tun kann: diesen Buben zum Nachdenken bringen und vielleicht noch andere, bis ihnen eines Tages aufgeht, was sie da treiben. Ob es hilft?«
    Der Kilian Poscher aber kaute an diesem Abend in seiner Dachkammer lange auf der Gänsefeder. Noch hatte er nichts über sein neues Amt niederzuschreiben. Aber es drängte ihn, den Rat des Doktors auszuprobieren und wenigstens zu versuchen, ob er es könnte, einen Anfang zu machen; eine Art Einleitung. Endlich schrieb er:
    »Anno 1627 den 27 . Mai ist in unserm Lande der Weinwuchs aller erfroren, dazu auch das liebe Korn, das allbereits verblühet, wie das seit Menschengedenken nit geschehen, so daß zu der herrschenden Seuch und Pestilenz auch noch Teuerung und Hungersnot ausgebrochen, und manches Haus im vergangenen Jahr mehr Todesfälle hat zu beklagen gehabt, als Menschen darin übrig blieben. Hierauf erhub sich unter dem gemeinen Volk ein groß Flehen und Bitten, warum man so lang zusehe, daß allbereits die Zauberer und Unholden die Früchte so gar verderben, wie denn Fürstliche Gnaden nichts weniger verursacht, solches Übel abzustrafen. Auf solche Beschwerden haben Fürstliche Gnaden endlich ein Einsehen gehabt und seither angefangen, die Hexen und Unholden aufzuspüren und zu strafen. Solches ist bisher in aller Stille geschehen. Doch ist mit dem gestrigen 10.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher