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Herzschlag der Nacht

Herzschlag der Nacht

Titel: Herzschlag der Nacht
Autoren: Lisa Kleypas
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hinunter nach Sewastopol an der Alma gegen die Russen. Mir wurde erzählt, es wäre ein Sieg für unsere Seite gewesen, doch leider fühlt er sich nicht so an. Wir verloren mindestens zwei Drittel unserer Regimentsoffiziere und ein Viertel der Männer. Gestern hoben wir Gräber aus. Die letzte Zählung der Toten und Verwundeten nennen sie »die Schlachterrechnung«. Dreihundertundsechzig Briten sind bisher tot, und es werden noch weitere ihren schweren Wunden erliegen.
    Captain Brighton, einer der Gefallenen, hatte einen Rauhaarterrier namens Albert bei sich, der zweifellos der ungebärdigste Hund von allen sein dürfte. Nachdem Brighton ins Grab hinabgelassen wurde, setzte sich der Hund neben die Grube, winselte über Stunden und drohte, jeden zu beißen, der sich ihm näherte. Ich beging den Fehler, ihm etwas Zwieback anzubieten, und nun folgt mir die umnachtete Kreatur auf Schritt und Tritt. In diesem Moment sitzt sie in meinem Zelt und glotzt mich mit einem halb wahnsinnigen Blick an. Das Winseln hört so gut wie nie auf, und komme ich dem Hund näher, will er mir sofort die Zähne in den Arm schlagen. Ich würde ihn erschießen, wäre ich des Tötens nicht so gründlich müde.
    Familien trauern um jene Leben, die ich nahm, um Söhne, Brüder, Väter. Mit den Dingen, die ich tat, habe ich mir einen Platz in der Hölle verdient, und der Krieg hat kaum begonnen. Ich verändere mich, und das nicht zum Besseren. Der Mann, den Sie kannten, ist auf immer fort, und ich fürchte, Ihnen könnte jener, der an seine Stelle trat, viel weniger gefallen.
    Der Gestank des Todes, Pru, ist überall.
    Auf dem Schlachtfeld liegen unzählige Gliedmaßen, Kleider, Stiefelsohlen verstreut. Malen Sie sich eine Explosion aus, deren Wucht die Sohlen von Stiefeln abreißt. Man sagt, dass im Jahr nach großen Schlachten die Wildblumen auf den Feldern um ein Vielfaches üppiger blühen – die Erde ist so aufgewühlt und blutgetränkt, dass die Samen leichter wurzeln. Ich möchte trauern, aber dies ist weder der Ort noch die Zeit dafür. Meine Gefühle muss ich vorerst verschließen, wo, weiß ich selbst nicht.
    Gibt es noch einen friedlichen Ort auf der Welt? Bitte schreiben Sie mir. Erzählen Sie mir von der Handarbeit, die Sie gerade machen, oder von Ihrem Lieblingslied. Regnet es in Stony Cross? Hat das Laub angefangen, die Farbe zu wechseln?
    Ihr Christopher Phelan
    Als Beatrix den Brief zu Ende gelesen hatte, wurde sie einer eigenartigen Regung in ihrem Inneren gewahr, einer seltsamen Verwunderung, verquickt mit Mitgefühl, die ihr auf die Brust drückte.
    Es schien undenkbar, dass solch ein Brief von dem arroganten Christopher Phelan kam. Er war so gänzlich anders als das, was sie erwartet hatte. Aus seinen Zeilen sprachen Verwundbarkeit, ein stilles Bitten, das Beatrix berührte.
    »Du musst ihm schreiben, Pru«, sagte sie und faltete den Brief sehr viel sorgsamer zusammen, als sie ihn zuvor behandelt hatte.
    »Ich werde nichts dergleichen tun. Mit einer Antwort würde ich ihn höchstens ermuntern, mir weitere Klagen zu schicken. Ich werde stillschweigen und ihn auf die Weise hoffentlich anregen, das nächste Mal von Angenehmerem zu berichten.«
    Beatrix runzelte die Stirn. »Wie du weißt, hege ich keine besondere Vorliebe für Captain Phelan, doch dieser Brief … Er verdient dein Mitgefühl, Pru. Schreib ihm einfach ein paar Zeilen, einige Worte des Trostes. Es würde dich kaum Zeit kosten, und was den Hund betrifft, hätte ich einen Rat …«
    »Ich schreibe gewiss nicht über diesen verflixten Hund!« Prudence seufzte ungeduldig. »Schreib du ihm.«
    »Ich? Er möchte keinen Brief von mir. Mich hält er für eigenartig.«
    »Ich wüsste nicht, warum. Nur weil du Medusa zum Picknick mitgebracht hast?«
    »Sie ist ein sehr wohlerzogener Igel«, verteidigte Beatrix sich.
    »Der Gentleman, dessen Hand durchbohrt wurde, würde dir widersprechen.«
    »Was nur geschah, weil er sie vollkommen falsch angefasst hat. Wenn man einen Igel hochhebt …«
    »Nein, es ist sinnlos, mir das zu erklären, denn ich werde niemals einen Igel hochheben wollen. Was nun Captain Phelan angeht, also, wenn dir so sehr daran liegt, schreib ihm eine Antwort und unterzeichne in meinem Namen.«
    »Wird er nicht erkennen, dass die Handschrift eine andere ist?«
    »Nein, weil ich ihm noch nicht geschrieben habe.«
    »Aber er ist nicht mein Verehrer«, sagte Beatrix. »Ich weiß nichts über ihn.«
    »Genau genommen weißt du so viel wie ich. Du bist mit seiner
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