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Herzschlag der Nacht

Herzschlag der Nacht

Titel: Herzschlag der Nacht
Autoren: Lisa Kleypas
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Familie bekannt, und du stehst seiner Schwägerin sehr nahe. Überdies würde ich nicht behaupten, dass Captain Phelan mein Verehrer ist, zumindest nicht mein einziger. Ich werde ihm auf keinen Fall versprechen, ihn zu heiraten, ehe er nicht vollkommen unversehrt aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Schließlich will ich keinen Gemahl, den ich für den Rest meines Lebens in einem Invalidenstuhl umherschiebe.«
    »Meine liebe Pru, deine Empfindsamkeit reicht nicht tiefer als eine Pfütze.«
    Prudence grinste. »Wenigstens bin ich ehrlich.«
    Beatrix musterte sie skeptisch. »Du willst mir allen Ernstes die Aufgabe übertragen, einen Liebesbrief an einen deiner Freunde zu schreiben?«
    Prudence winkte ab. »Keinen Liebesbrief. Es war auch keine Spur von Liebe in seinem Brief an mich. Schreib ihm etwas Erheiterndes und Ermutigendes.«
    Beatrix tastete nach der Tasche ihres Ausgehkleids und steckte den Brief hinein. Innerlich rang sie mit sich, überlegte, dass es nie gut ausging, etwas moralisch Fragwürdiges zu tun, auch wenn es aus den richtigen Gründen geschah. Andererseits beherrschte das Bild des Soldaten ihre Gedanken, der erschöpft in der Abgeschiedenheit seines Zelts einen eiligen Brief hinkritzelte, die Hände voller Blasen vom Graben der letzten Ruhestätten seiner Kameraden. Und in der Ecke ein winselnder Hund.
    Der Aufgabe, ihm zu schreiben, fühlte sie sich alles andere als gewachsen.
    Sie versuchte, sich vorzustellen, wie es für Christopher sein musste, sein vornehmes Leben hinter sich zu lassen und sich in einer Welt wiederzufinden, in der ihm täglich das Ende drohte. Minütlich. Es war unmöglich, sich einen verwöhnten, schönen Mann wie Christopher Phelan auszumalen, der Gefahr und Entbehrung, Hunger und Einsamkeit erduldete.
    Beatrix sah nachdenklich ihre Freundin an, und ihre Blicke begegneten sich im Spiegel der Frisierkommode. »Was ist dein Lieblingslied, Pru?«
    »Ich habe keins. Nenn ihm deins.«
    »Sollten wir uns vielleicht mit Audrey besprechen?«, fragte Beatrix. Gemeint war Phelans Schwägerin.
    »Gewiss nicht. Audrey hat ein Problem mit Aufrichtigkeit. Sie würde den Brief nicht weiterschicken, wüsste sie, dass ich ihn nicht geschrieben habe.«
    Beatrix entfuhr ein Laut, der ein Lachen wie ein Stöhnen hätte sein können. »Ich würde das nicht ein Problem mit Aufrichtigkeit nennen. Ach, Pru, bitte überleg es dir und schreib ihm. Das wäre so viel einfacher.«
    Aber Prudence zierte sich besonders, bedrängte man sie, etwas zu tun, und diese Situation bildete keine Ausnahme. »Einfacher für alle außer für mich«, erwiderte sie spitz. »Ich weiß ganz und gar nicht, was ich auf solch einen Brief antworten soll. Wahrscheinlich hat er schon vergessen, dass er ihn überhaupt geschrieben hat.« Sie wandte sich wieder dem Spiegel zu und trug etwas Rosenblütensalbe auf ihre Lippen auf.
    Wie liebreizend Prudence mit ihrem herzförmigen Gesicht und den schmalen Brauen über den großen grünen Augen war. Doch wie wenig Persönliches war an ihrem Abbild im Spiegel zu erkennen. Es ließ sich nicht einmal erraten, was sie wirklich für Christopher Phelan empfinden mochte. Eines nur war sicher: Es war besser, seinen Brief zu beantworten, ganz gleich wie unpassend, als ihm eine Antwort zu versagen. Denn bisweilen riss Nichtbeachtung ebensolch tiefe Wunden wie eine Kugel.
    Beatrix saß allein in ihrem Zimmer in Ramsay House am Sekretär und tauchte ihre Schreibfeder in das Fässchen mit blauer Tinte. Eine dreibeinige Katze namens Lucky lag auf der Ecke des Schreibtisches und beobachtete Beatrix aufmerksam. Beatrix’ Igel Medusa besetzte die andere Ecke. Lucky war ein überaus vernünftiges Wesen, weshalb sie nicht auf die Idee käme, dem kleinen Igel zu nahe zu treten.
    Nachdem sie den Brief von Phelan ein weiteres Mal gelesen hatte, schrieb Beatrix:
    Captain Christopher Phelan
    Erstes Batallion Rifle Brigade
    Zweites Divisionslager, Krim
    17. Oktober 1854
    Beatrix hielt inne und streichelte Luckys verbliebene Vorderpfote mit der Fingerspitze. »Wie würde Pru einen Brief beginnen?«, fragte sie sich laut. »Würde sie ihn ›Liebster‹ nennen? ›Teuerster‹?« Sie rümpfte die Nase.
    Briefe zu schreiben zählte nicht zu Beatrix’ Stärken. Obwohl sie einer überaus redegewandten Familie entstammte, hatte sie Instinkt und Handeln stets mehr geschätzt als Worte. Ja, sie fand sogar, dass man einen Menschen deutlich besser kennenlernte, indem man mit ihm einen kurzen Spaziergang machte, als es
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