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Herzklopfen für Anfänger

Herzklopfen für Anfänger

Titel: Herzklopfen für Anfänger
Autoren: Lynne Barrett-Lee
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Todes kindliche Geschenke aufstellen konnte. Ich war erst einmal dort gewesen – auf mein Betreiben hin hatten wir woanders geheiratet. Aber als ich in die Straße einbog, kam mir alles so vertraut vor, als sei das erst gestern gewesen. Nichts hatte sich verändert. Die Bäume waren höher geworden, die Sträucher ein wenig buschiger, aber das war alles.
    Ich ließ Merlin im Auto und suchte mir vorsichtig meinen Weg in der Dunkelheit. Heute Abend schien kein Mond, nur die Sterne warfen einen Perlenschimmer über die silbrig glitzernden Steine. Ich blickte zur Kirchturmuhr. Es war zwanzig nach eins. Wo war die Zeit geblieben? Hatte ich wirklich drei lange Stunden gebraucht, um zu der Erkenntnis zu kommen, die mich hierher gebracht hatte?
    Ich sah Jonathans Auto fast sofort. Er hatte es ein Stück weiter unten an der Straße geparkt, halb auf dem Seitenstreifen. Ich legte meine Hand auf den Kühler, als ich vorbeiging. Er war kalt. Also war er schon lange hier.
    Tricias Grab befand sich ganz hinten auf dem Friedhof. Ich ging an den unterschiedlichsten Grabsteinen vorbei. Alte, bröckelnde Steine, graugrün mit Flechten bewachsen, schwarzer Marmor, weißer Marmor, Granit mit unbehauener Kante. Es war eigentlich nicht kalt, aber mich fröstelte. Es lag so viel Tod in der Luft.
    Er stand still wie eine Statue am Grab, den Kopf leicht gesenkt, Hände in den Taschen. Als er mich kommen hörte, drehte er sich um.
    »Es tut mir leid«, sagte er, als ich neben ihm stehen blieb.
    Tricias Grab war mit aller Sorgfalt angelegt. Ein schwerer Grabstein mit einem Engel, auf dem die Daten eingemeißelt waren, die von ihrem kurzen Leben kündeten, und darunter in geschwungener Schrift »Geliebt und unvergessen«.
    Ich war mit Morgan einmal hier gewesen, als sie sechs war. Ihre Mutter war damals seit drei Jahren tot. Wir hatten einen kleinen Topf Stiefmütterchen mitgebracht, um den wir ein Band gewickelt hatten, und eine Geburtstagskarte.
    Wessen Entscheidung war der Besuch gewesen? Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Aber das brauchte ich auch nicht. Es spielte kaum eine Rolle, ob es Jonathans oder meine gewesen war. Ich erinnerte mich nur an ein kleines Mädchen, das fröhlich an einem sonnigen Wintertag an den Gräbern vorbeihüpfte. Dann blickte ich auf Tricias Grab. Keine Stiefmütterchen. Nein, Rosen. Rote Rosen. Ein großer Strauß in der Vase, die in den Stein integriert war. Einige hatten noch Knospen, die meisten blühten schon. Ich bückte mich, um über die samtigen Blütenköpfe zu streichen. Kein Grashalm, kein Unkraut war zu sehen.
    »Wie oft kommst du her?«, fragte ich leise.
    Jonathan nahm die Hände aus den Taschen und fuhr sich durch die Haare. »Das kommt darauf an. Alle vierzehn Tage etwa.«
    »Wann?«
    »Gott, Sally, spielt das eine Rolle?«
    Er trat einen Schritt zurück und wandte sich zum Gehen. Ich folgte ihm. Das Gras wurde langsam feucht. Zum Geburtstag kaufte Jonathan mir Blumen. Einmal im Jahr. Lilien, Nelken, Freesien. Rosen nie.
    »Ja, es spielt eine Rolle. Sogar eine große, Jonathan.« Ich blickte zurück zum Grab. »Sag es mir.«
    Er ging weiter durch das Gräberlabyrinth zum Ausgang. »Es spielt keine Rolle«, sagte er noch einmal.
    Ich holte ihn ein.
    »Die Details sind tatsächlich nicht wichtig«, sagte ich. »Da hast du wahrscheinlich recht.« Ich blickte ihn an. »Es ist nur die Tatsache, dass du es immer noch tust. Du kommst immer noch hierher.«
    Er ging weiter, aber ich blieb stehen und blickte zurück. All diese Gräber. All diese Leben, die schon längst verloschen waren. Der zeitlose Prozess der Trauer. Und Tricias Grab war so gut gepflegt wie am ersten Tag.
    Jonathan stand mittlerweile am Tor und wartete auf mich. Er stampfte mit den Füßen. Blickte sich um. Auf einmal wurde mir klar, dass er sich an diesem Ort mit mir unbehaglich fühlte. Ich kam mir plötzlich vor wie ein Eindringling. Dieser Ort gehörte ihnen. Ich hatte hier nichts zu suchen.
    Ich holte tief Luft und füllte meine Lungen mit der feuchten Nachtluft. Ja, das war so. Es stimmte. Ich sollte nicht hier sein. Vielleicht weil ich lebendig war. Ich fühlte mich auf jeden Fall lebendig. Mein Herz pumpte Blut durch meinen Körper, und mein Körper war heil und jung und lebendig.
    Die letzten Meter zu ihm legte ich leichtfüßiger zurück, als ich mir je vorgestellt hätte. Morgans besorgte Worte kamen mir in den Sinn, als ich vor ihn trat. Aber sie irrte sich. Es würde ihn nicht umbringen, wenn ich ihn verließ. Denn wie
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