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Herzgesteuert: Roman (German Edition)

Herzgesteuert: Roman (German Edition)

Titel: Herzgesteuert: Roman (German Edition)
Autoren: Hera Lind
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Fanny. »Es war ja auch schweinekalt und hat immer gegossen!«
    »Aber jetzt scheint sie Sonne«, säusele ich, um Frieden be müht. »Und die schönen Blumen blühen, die Vögel singen, im Park sitzen die Leute schon auf der Bank, und die Enten auf dem Stadtteich haben schon Küken …«
    Ja, ich weiß, dass ich klinge wie meine Schwester.
    Ist das denn zu fassen, dass ich es mit sechsunddreißig Jahren schon geschafft habe, genauso betulich daherzureden wie sie?
    »Das ist mir so was von scheißegal«, schnauzt Fanny mich wütend an.
    »Aber warum hast du dann so schlechte Laune?«
    »Weil der Scheiß-Rottweiler uns wieder so viele Aufgaben in Mathe aufgegeben hat, die ich einfach nicht kann!«
    »Ich helfe dir, mein Schatz«, verspreche ich gutmütig. Einatmen, ausatmen.
    Auch dieser Anfall pubertärer Übellaunigkeit geht vorbei. »Mathe kann total Spaß machen. Man muss sich nur reinknien.«
    Wir latschen lustlos am Fluss entlang. Das heißt, Fanny latscht. In ihren ausgeleierten Turnschuhen, die sie niemals aufbindet, sondern deren Kappen sie immer mutwillig platt tritt.
    Auch so eine morgendliche Diskussion.
    Warum bindet das Kind die Schnürsenkel nicht anständig auf und zu?
    »Mama, das muss so!«
    »Wie, das muss so? Und wozu sind Schnürsenkel da?«
    »Zu nix.«
    »Das sehe ich aber anders.«
    »Wer Schnürsenkel aufmacht, ist voll peinlich.«
    »Der schöne teure Turnschuh geht aber davon kaputt!«
    »Mama! Du bist so was von spießig!! Das ist kein Turnschuh!«
    »Sondern?«
    »Ein …« (Markenname, englisch, weigere ich mich, mir zu merken.)
    Jedenfalls stinkt der Nicht-Turnschuh, der über hundert Euro gekostet hat, und sieht so was von gar nicht lieblich aus, wenn mein ansonsten graziles Kind darin herumlatscht, dass ich Christiane ausnahmsweise einmal recht geben muss. Ein hübscher lederner Schnürschuh muss her. Mit luftdurchlässiger Sohle. Ein Schuh, in dem der Fuß atmen kann. Da gibt es ganz reizende Mädchenschuhe bei Salamander.
    Trotzdem halte ich es nicht für zielführend, jetzt mit dem spießigen Schnürschuh-Thema anzufangen. Ich will doch mein schlecht gestimmtes Töchterchen nicht noch bis zur Weißglut reizen. Nach zwanzig Minuten gelingt es mir, das beleidigte Schweigen meiner Tochter zu brechen. Gnädig willigt sie ein, dass ich ihre Schultasche trage.
    »Was ist denn da drin? Steine?«, spule ich schon wieder die ausgeleierte Schallplatte meiner Halbschwester ab.
    »Hahaha«, antwortet das liebliche Kind giftig.
    Schnaufend setze ich die Tasche (wehe ich sage Tornister oder sonst was Peinliches!) auf eine Parkbank und entnehme ihr eine volle Flasche Wasser und das gesamte Schulfrühstück, das ich ihr noch heute Morgen und stehenden Fußes bereitet habe. Vollkornbrot mit Gurken, Radieschen und Vollwertaufstrich.
    »Ja, was ist denn das? Hast du denn gar nichts gegessen und getrunken?«
    »Nein.«
    »Aber warum denn nicht?«
    »Erstens haben wir überhaupt keine Pause, und zweitens ist das total peinlich.«
    »Moment. Ihr habt keine Pause?«
    »Nein. Nicht eine Sekunde.«
    Wie alle in unserer Familie neigt mein Kind zu theatralischen Übertreibungen.
    »Und warum ist das peinlich?«
    »Mama!!! Welches Kind läuft denn noch mit einem Gurkenbrot durch die Gegend?! Und mit einer Flasche Wasser? Wie peinlich ist das denn?«
    »Ähm … was essen denn die anderen?«
    »Nix.«
    »Kein Kind kann sechs Stunden nichts essen und dann noch lernen.«
    Fanny baut sich seufzend vor mir auf und schenkt mir einen mitleidigen Blick. Dann lässt sie sich schwer atmend auf die Bank fallen.
    »Zwei Euro, Mama. Alle gehen zum Kiosk. Ist das denn so schwer?«
    Jetzt wird mir auch klar, warum meine arme Tochter keinen Schritt mehr gehen kann. Das Mädel ist ja völlig unterzuckert. Auffordernd halte ich ihr die Stulle hin.
    »Jetzt stärk dich erst mal!«
    Fanny wendet sich mit verschränkten Armen ab.
    »Voll das peinliche Brot!«
    »Aber hier sieht dich doch keiner!« Wie eine Eule spähe ich über die Schulter. »Weit und breit kein Klassenkamerad, der dich des peinlichen Brotessens bezichtigen könnte!«
    Fanny presst die Lippen aufeinander. Allein das Wort Klassenkamerad steht ja schon unter Strafe. Ich sollte aufhören, Christianes Vokabular zu benutzen.
    »Dann nimm wenigstens einen Schluck Wasser!«
    Schluck? Darf man so was heute noch sagen? Wasser? Ist das noch cool?
    »Ich ekle mich vor dem Flaschendeckel.«
    »Dann verstecke ich ihn. Weg ist er!«
    »Du hast ihn hinter dem Rücken, und ich
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