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Herzgesteuert: Roman (German Edition)

Herzgesteuert: Roman (German Edition)

Titel: Herzgesteuert: Roman (German Edition)
Autoren: Hera Lind
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ständig unter Strom, habe keine einzige freie Minute.
    Schon überlege ich, ob es das frische Brot wert ist, hier meine kostbare Zeit zu verschwenden, ob ich es nicht irgendwo in die Ecke legen und von dannen eilen soll. Hastig greife ich nach meinem Handy und rufe meine Sekretärin an, die heimlich »Trockenpflaume Claudia« genannt wird.
    »Claudia, ich bin’s. Hör zu. Die Eigentumswohnung an der Hellbrunner Allee. Die muss unbedingt noch vor Anzeigenschluss in die Zeitung. Die wäre was für die Frau Dr. Stein. Schreib: Wunderschöne helle, lichtdurchflutete Penthousewohnung mit großer Sonnenterrasse und herrlichem Blick auf die umliegenden Berge, inmitten einer ruhigen Wohnsiedlung Nähe Hellbrunner Allee – hast du das? So, den integrierten Aufzug in die Fitnessetage, wie formulieren wir das? – Ach ja, und ruf bitte die Nachbarin von unten an und sag ihr, dass das Kinderfahrrad und der ganze Kram aus dem Treppenhaus verschwinden müssen, ja? Wir haben ab sofort Besichtigungen. Danke, lieb von dir, Bussi, baa baa!«
    Wieder ein halber Schritt nach vorn. Mir hängt der Magen dermaßen in den Kniekehlen, dass ich am liebsten auf der Stelle in dieses ofenwarme Brot beißen würde.
    »Aber heute bekommt so was auch noch Unterstützung von Vater Staat«, grollt der glatzköpfige Hirschhornknopf-Rentner dicht hinter mir, und der pompöse Hut vor mir nickt und zittert vor Empörung. Ich lehne mich ein bisschen zurück, aber da pralle ich auch schon mit dem selbstzufriedenen Lodenträger zusammen.
    »Immer Geld in der Tasche«, stichelt der. »Betteln tun sie trotzdem. Mitten in der Fußgängerzone! Und den anständigen Bürger belästigen!«
    Der federgeschmückte Hut vor mir kann gar nicht aufhören zu nicken.
    »Und da gehen solche Vagabunden noch schick einkaufen!«, zischt die Dicke, die eine Menge Süßigkeiten in ihren Einkaufswagen geladen hat. »Natürlich nur Schnaps und Bier!« Sie rümpft die Nase und zeigt auf den Clochard, der soeben ein paar belegte Brote, eine Packung Vollmilch und eine Tageszeitung auf das Fließband legt. Ist das die FAZ? Kaum zu glauben. Bestimmt hat er die Zeitung nur aus dem Abfalleimer geholt und versteckt darin Schnaps und Drogen.
    Seine Fingerspitzen, mit denen er nun ein paar Münzen abzählt, sind rau und verdreckt, und seine Nägel haben tiefschwarze Ränder.
    Armer Kerl, irgendwie. Aber mein Problem ist er nicht. Zum Glück.
    Während ich warte, kann ich schnell noch die Verkäuferin der Stadtwohnung am Neutor informieren, dass ich am Wochenende mit einem Interessenten komme. Sie soll BITTE diese schrecklichen Mülltonnen aus dem Eingang entfernen und, wenn es geht, auch die komischen Buddhafiguren, Räucherstäbchen und die künstlichen Blumen. Nicht alle Interessenten sind auf dem Esoteriktrip.
    Je neutraler eine Wohnung präsentiert wird, desto höher sind meine Chancen, sie an den Mann zu bringen.
    Danke, Bussi, baa baa.
    Mein Blutzuckerspiegel ist im Keller. Bitte, so kommt doch in die Gänge! Ich bin doch nicht zum Vergnügen hier! Der Penner schickt sich an zu zahlen.
    Die Kassiererin schiebt seine spärlichen Einkäufe mit spitzen Fingern über das Band und würdigt ihn keines Blickes: »Sieben Euro fünfundvierzig.«
    Der Penner klaubt seine Habseligkeiten mit stoischer Gelassenheit zusammen und verstaut sie in seinem überladenen Einkaufswagen. Als hätte er alle Zeit der Welt, kramt er in den Tiefen seiner ausgefransten Manteltaschen und zählt ihr die Münzen hin.
    Die Liegenschaft am Attersee. Fast vier Millionen Euro wollen die Besitzer dafür. Die werden sie nicht kriegen, denke ich, denn das Haus und der gesamte Park haben keine Abendsonne. Die Führung muss also unbedingt am Vormittag stattfinden. Trockenpflaume Claudia soll den Termin auf zehn Uhr legen. Ich schicke ihr hastig eine SMS.
    Die Kassiererin nimmt die Münzen mit einer Geste des Ekels und lässt sie schnell in die Kasse fallen.
    Dann steht sie eilig auf und schreitet von dannen, wahrscheinlich um sich die Hände zu waschen.
    Der Penner schiebt seinen Hausrat zwei Meter weiter, bleibt im Eingangsbereich stehen und macht sich umständlich an seinem Hab und Gut zu schaffen. Jetzt schlägt er seelenruhig die FAZ auf und beginnt zu lesen. Wahrscheinlich die Immobilienseite, oder was!
    Nein, das war zynisch, Juliane, rufe ich mich zur Ordnung. Jetzt könnte ich eigentlich schnell vor die leere Kasse ausscheren, und wenn die Kassiererin wiederkommt, bin ich die Erste.
    Warum tue ich es dann
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