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Herzensruhe

Herzensruhe

Titel: Herzensruhe
Autoren: Anselm Gruen
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etwas einlassen, vergessen wir die Zeit, da hört die Zeit auf, da sind wir nur noch reiner Augenblick, reine Gegenwart. Das ist dann die Ahnung der ewigen Sabbatruhe, an der wir jetzt schon teilhaben. Die Mystiker haben immer wieder von dieser reinen Gegenwart gesprochen, in der sie Gott erfahren. Für Meister Eckhart überschreitet der Mensch im Einswerden mit Gott die Zeit und hat schon teil an der Ewigkeit: „Das ist das Ziel, wo der Geist in Ruhe verharrt, der lieben Ewigkeit vereint.“ Er spricht hier von der Fülle der Zeit. In der Aus legung von Gal 4,4: „Als aber die Zeit erfüllt war“, schreibt er: „Wann ist ,Fülle der Zeit'? - Wenn es keine Zeit mehr gibt. Wenn man in der Zeit sein Herz in die Ewigkeit gesetzt hat und alle zeitlichen Dinge in einem tot sind, so ist das,Fülle der Zeit‘.“
    Solche Erfahrungen absoluter Ruhe, in denen Zeit und Ewigkeit zusammenfallen, können wir machen, wenn wir in der Betrachtung einer Blume, einer Landschaft, eines Gemäldes aufgehen. Wenn wir ganz im Schauen sind, dann gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Schauer und Beschauten, dann
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    fallen beide in eins zusammen. Und dann hört auch die Zeit auf.
    Oder wir können solche Ruhe erahnen, wenn wir einen langsamen Satz von Bach oder Mozart hören, wenn wir ganz Ohr sind, uns von nichts ablenken lassen, ganz im Hören aufgehen. Dann berühren wir mitten in der Zeit die Ewigkeit, dann hört im Hören die Zeit auf. Manchmal geht es uns auch im Lesen so. Wir lesen ein Buch. Auf einmal berührt uns etwas.
    Wir können nicht weiter lesen. Wir bleiben stehen, ohne darüber nachzudenken. Wir sind einfach da. Das Paradox ist, daß so ein Zusammenfallen von Zeit und Ewigkeit immer an eine sinnliche Erfahrung gebunden ist. Gerade in der Materie wird der Geist erfahren, im Raum das Raumlose, in der Zeit das Zeitlose. Wenn ich ganz in meinen Sinnen bin, dann bin ich auch ganz präsent, dann erfahre ich absolute Ruhe. Ich kann mich von der Sonne bestrahlen lassen und die Wärme der Sonne in meiner Haut spüren. Wenn ich ganz in meiner Haut bin, dann kommt der unruhige Geist zur Ruhe, dann ist der Geist ganz in meiner Haut.
    Er ist nicht mehr im Kopf, in dem er immer nur Unruhe erzeugt.
    Er läßt sich ein in die Sinne und kommt in ihnen zur Ruhe. Dann ist wieder diese Erfahrung der Einheit. Geist und Sinne werden eins, Zeit und Ewigkeit.
    Eine wichtige Erfahrung ist für mich das Hören. In den siebziger Jahren war ich öfter in Rütte bei Graf Dürckheim.
    Wenn ich seinen Vorträgen lauschte, so wurde es in mir ganz ruhig. Nach einigen Vorträgen kannte ich mehr oder weniger den Inhalt. Ich konnte mir denken, was er da in etwa sagen werde. Aber das war nicht so wichtig. Von seinem Sprechen ging etwas aus, das in mir Ruhe erzeugte. Die vielen Gedanken kamen zur Ruhe. Ich grübelte nicht nach, urteilte nicht über das, was er sagte, sondern war ganz im Hören. So geht es mir manchmal, wenn ich eine Bibelstelle höre. Wenn sie gut vorgetragen wird, wenn der Leser ganz im Wort ist, das er vorliest, dann kann ich mich auch völlig auf das Hören einlassen. Ich weiß nachher gar nicht mehr, was ich gehört habe.
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    Aber die Worte haben mich beruhigt, mich zur Ruhe gebracht.
    Die Worte haben mich in Berührung gebracht mit dem Grund meines Herzens, auf dem es ganz ruhig ist, auf dem Gott selbst wohnt. Die Worte führen mich in den Raum des wortlosen Geheimnisses Gottes. Sie schließen die Türe auf zu dem Raum, in dem Gott, der jenseits aller Worte und Bilder ist, in seiner ewigen Sabbatruhe wohnt.

    Ruhe als Unterbrechung

    Johann Baptist Metz hat Unterbrechung einmal die kürzeste Definition von Religion genannt. Die Sabbatruhe Gottes unterbricht die Arbeit des Menschen. Das Gebet ist heilsame Unterbrechung der alltäglichen Hektik. Keiner von uns kann die innere Ruhe immer und überall bewahren. Immer wieder fallen wir aus ihr heraus. Wir lassen uns von einem Konflikt in Beschlag nehmen. Wir werden verletzt, und schon kommen in uns die Mechanismen der Selbstverletzung in Gang. Wir grübeln nach über die kränkenden Worte. Wir zerfleischen uns selbst, indem wir uns vorwerfen, warum wir da nicht besser reagiert haben. Alle Vorsätze, innerlich die Ruhe zu bewahren, helfen da nicht weiter. Aber wenn wir uns im Gebet vor Gott bringen, unterbrechen wir den Teufelskreis von Verletzung und Selbstverletzung, von Kränkung und Sichselbst-Kränken. Im Gebet treten wir einen Augenblick zurück von all dem, was uns
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