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Herzensruhe

Herzensruhe

Titel: Herzensruhe
Autoren: Anselm Gruen
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verloren. Jesus geht ruhig und souverän durch seine Passion.
    Der Trubel der Menge berührt ihn nicht. Es geht ihm um etwas ganz anderes, um die Offenbarung Gottes mitten in unserer zerrissenen Welt.
    Jesus ist mitten in der Passion eins mit seinem Vater. Die Erfahrung dieses Einsseins enthebt ihn aller äußeren Unruhe.
    Um diese Einheit bittet Jesus im Hohepriesterlichen Gebet kurz vor seinem Leiden für seine Jünger. Die an ihn glauben, sollen genauso eins sein, wie er mit dem Vater eins ist. Ja, sie sollen vollendet sein im Einssein (vgl. Joh 17,23). Sie sollen vollständig eins sein. Das griechische Wort für vollendet sein (teteleiomenoi)
    kommt von „telos“ (Ziel, Ganzheit,
    Vollendung). Es wird auch in der Mysteriensprache verwendet und meint dann die Einweihung in das Geheimnis Gottes. Jesus bittet also, daß seine Jünger in das Geheimnis des Einsseins eingeweiht werden und darin in das Geheimnis Gottes. Gott ist der Eine, der in sich ganz eins ist. Gott ist eins mit seinem Sohn, der hinabgestiegen ist auf diese Erde. Er verbindet in sich Himmel und Erde, Gott und Mensch, Licht und Dunkel. So sollen auch wir eins sein, indem wir in uns Himmel und Erde, den göttlichen Kern und unser Menschsein, Geist und Materie, die Höhe und die Tiefe miteinander verbinden.
    Für die Griechen war die Zerrissenheit die eigentliche Not des Menschen. Der Grieche fühlte sich zerrissen zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Mensch, zwischen Geist und Trieb, zwischen Mann und Frau. Und er sehnte sich nach dem Einssein. Die Zerstückelung sollte endlich aufhören. Der Mensch sollte die ursprüngliche Einheit, die er von Gott her besaß, wieder erlangen. Jesus antwortet auf diese Sehnsucht nach dem Einssein. Wenn der Mensch eins geworden ist, wie der Vater mit dem Sohn eins ist, dann spiegelt er Gottes Herrlichkeit in dieser Welt wider. Die Einheit ist also Ausdruck der Gotteserfahrung. Sie ist Spiegel für die Herrlichkeit Gottes,
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    die in Jesus Christus aufgeleuchtet ist. Sie ist die doxa, die Gestalt, die Form, wie Gott sich in dieser Welt ausdrückt. Das Einssein ist auch die Bedingung für die wahre Ruhe. Wenn die Gegensätze in mir sich nicht mehr bekämpfen, wenn alles in mir eins ist, wenn Gott und Mensch, Geist und Trieb, Licht und Dunkelheit, Stärke und
    Schwäche, animus und anima miteinander eins werden, dann bin ich tief in meiner Seele ruhig geworden.
    In der Passion zeigt uns Jesus einen Weg, wie wir diese Ruhe auch in den Turbulenzen unseres Lebens durchhalten können, gerade dort, wo wir wie er angefeindet werden, uns nicht verstanden fühlen, Kränkungen erfahren. Wenn wir eins sind, wie Jesus mit dem Vater eins ist, wenn also das Menschliche und Göttliche in uns eins sind, dann kann uns auch die Passion unseres Lebens nicht mehr aus dieser Einheit herauswerfen.
    Dann können uns Menschen verletzen, geißeln, verspotten, anklagen, verleumden, dann können sie uns Angst machen, uns einschüchtern mit Drohungen. Das alles kann uns nicht aus dem Einssein mit Gott reißen. Das alles berührt den innersten Raum in uns nicht, in dem Gott in uns wohnt. Der Satz, den Jesus vor Pilatus spricht, gilt auch für uns: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“ (Joh 18,36). In uns ist der Ort, in dem Gott in uns wohnt und über uns herrscht. Dort kann kein Mensch über uns bestimmen. Dort sind wir souverän. Dort kann uns niemand aus der Ruhe, die aus der Einheit mit Gott kommt, vertreiben.
    Jesus zeigt uns im Hohepriesterlichen Gebet einen Weg, wie wir zur wahren Einheit gelangen: „Vater, ich will, daß alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin“ (Joh 17,24).
    Der Ort, an dem wir bei Christus sind, ist das Gebet. Für die Ostkirche ist es das Jesusgebet, das sie mehr und mehr mit dem Geist Jesu Christi erfüllt. Die Ostkirche versteht das Jesusgebet als Zusammenfassung des ganzen Evangeliums. Für sie ist es der Weg, den Geist an Christus zu binden und durch Christus eins zu werden mit dem Vater. Für mich persönlich ist das
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    Jesusgebet seit etwa dreißig Jahren mein Meditationsweg geworden. Ich übe es nicht nur bei der morgendlichen Meditation, sondern es begleitet mich auch tagsüber immer wieder, wenn ich durch Gänge gehe, wenn ich irgendwo warte, wenn eine kleine Pause entsteht. Das Jesusgebet bringt mich immer und überall mit mir selbst in Berührung und läßt mich die Einheit mit Gott mitten in der Unruhe des Alltags erfahren.
    Wenn ich mit dem Einatmen die
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