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Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)

Titel: Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
Autoren: Eva Baronsky
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sein, er hatte noch nie einen Finger für sie krummgemacht. »Ich will keinen Tee, lasst mich durch!«
    »Jetzt warte doch mal.« Enno legte ihr den Arm um die Schultern. »Willst du nicht wissen, was du versäumt hast?«
    »Besten Dank, das kann ich mir schon denken, nachdem die Sittenthaler mich fast die Treppe hinuntergeprügelt hat.« Sie schubste Enno energisch zur Seite und öffnete ihre Zimmertür.
    »Warte, Anju, wir sind da noch nicht ganz fertig geworden …«
    »Bäh! Was stinkt denn hier so?« Sie schlug die Hand vor Mund und Nase, ihr Blick fiel auf ein zerwühltes Bett, über ihrem Schreibtisch lagen Papiere verstreut. Mit angehaltenem Atem durchmaß sie das Zimmer und riss das Fensterweit auf. Wütend fuhr sie herum. Enno und Jost standen auf der Schwelle wie zwei Dackel, die die Jagd verpasst hatten.
    »Wir hätten lüften sollen …«, bemerkte Enno kleinlaut.
    »Was ist hier los? Wer war in meinem Bett?«
    »Ein guter Freund von Enno«, antwortete Jost und grinste.
    »Seid ihr noch zu retten? Ihr lasst einen Kerl in meinem Bett schlafen?«
    »Das hast du auch schon gemacht.« Feixend griff Jost nach seinem Spültuch und verschwand.
    »Blödmann!« Anju schnüffelte, es roch eindeutig wie das Pennerlager in einer Straßenunterführung, nach Schweiß, Erbrochenem und Urin. Sie spürte Würgereiz. »Hier hat doch jemand reingekotzt.«
    »Bestimmt nicht«, beeilte sich Enno, sie zu beschwichtigen, »gekotzt hat er draußen, wir haben ihm auch gleich die Klamotten ausgezogen.« Er schlug sich mit der Hand auf den Mund.
    »Ihr habt was?« Anju hielt sich die Nase zu und hob mit spitzen Fingern die Bettdecke hoch. Dann entfuhr ihr ein spitzer Schrei. »Was ist das?«
    Enno kam näher, betrachtete die bernsteinfarbene Flüssigkeit in Anjus weißer Jumbo-Teetasse. »Ich schätze mal, dass es kein Tee ist.« Er nahm die Tasse und trug sie, den Kopf abgewandt, aus dem Zimmer.
    »Schmeiß das Ding weg!« Anju sank in den Schreibtischsessel, riss sich das Haarband von der Stirn. Ihr Nest, ihr Refugium. Die einzigen neunzehn Quadratmeter, die ihr allein vorbehalten waren. Entweiht, zerstört, besudelt. Am liebsten wäre sie hinausgelaufen, weg von diesen gottverdammten Typen mit ihren widerlichen Partys, doch es gab keinen anderen Platz mehr, an den sie sich hätte flüchten können.
***
     
    Er schreckte hoch, dem Geschmack in seinem Mund nach musste er eingenickt sein. Sein Rücken fühlte sich steif an, und die Kälte hatte seine Finger taub werden lassen. Beim Aufrichten begann sein rechtes Bein zu kribbeln und sackte weg, der linke Fuß schmerzte in pochenden Schüben.
    Er fühlte sich restlos erschöpft, sehnte sich nach nichts als einem Ort, wo er sich, ohne nachzudenken, dem Schlaf überlassen konnte, so lange, bis dieser Alptraum vorüber war.
    An die Hauswände gestützt, schleppte er sich weiter, ziellos, immer wieder innehaltend, mit dem Blick einen vertrauten Punkt suchend an den Mauern ringsumher. Alles, was er sah, war unbarmherzig, vollkommen anders als das, was in ihm lebte. Er war ein Schauspieler, dem jemand inmitten des Theaterstückes die Kulissen gewechselt hatte. Unversehens fand er sich in einer Aufführung wieder, deren Sprache er nicht verstand und deren Staffage fremd und wunderlich war. Nur ein paar Fragmente verrieten, auf welcher Bühne gespielt wurde: jener nämlichen, auf der er doch selbst soeben noch gestanden war und die er geglaubt hatte bis in den letzten Winkel zu kennen.
    Eine junge Frau zog ein kleines Mädchen, das den Kopf nach Wolfgang umdrehte, zur anderen Straßenseite hinüber. Er blieb stehen und zwang sich, den Odem im rechten Takt in seine Brust hinein- und wieder herauszulassen, doch sein Herzschlag widersetzte sich jeder Ordnung. Wenn die Erde sich tatsächlich zwei Jahrhunderte weitergedreht hatte, ohne dass ihm der Körper zu Staub zerfallen war, so war es nur recht, wenn ihn jedermann auslachte oder den Kopf schüttelte, sobald er seinen Namen nannte. Nein, er durfte keiner Menschenseele preisgeben, wer er tatsächlich war. Denn hätte er selbst mehr als Spott gekannt, wäre einer putzmunter in seiner Stube aufgetaucht, um sich als Palästrina oder Monteverdi vorzustellen? Füreinen Narren hätte er ihn gehalten, einen Scharlatan, nie zuvor hatte er von einer solchen Affaire gehört. Ja, etwas unvergleichlich Großes, nie Dagewesenes, Einzigartiges war mit ihm geschehen. Er wurde hier gebraucht, es war der Wille des Herrn, dass er noch auf Erden stand, und der
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