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Herr der zwei Welten

Herr der zwei Welten

Titel: Herr der zwei Welten
Autoren: Sibylle Meyer
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Die Lichtfrau schien das genau zu wissen. Denn sie hielt sich zurück. Ließ ihm Zeit. Sie wusste, dass er keine andere Möglichkeit hatte. Nur kurz spürte er noch einmal ihre Anwesenheit in seinem Kopf. Aber er konnte keinen neuen Gedanken finden. Anscheinend war es das gewesen, was sie ihnen mitteilen wollte. Morsena war fort. Die Höhle war wieder so dunkel wie zuvor. Nur der Geruch der Mücken war noch immer hier. Eugeñio machte sich von Gastons Armen frei, die ihn noch immer hielten. Die beiden Männer sahen sich in die Augen. Es gab keinen anderen Weg! Sie mussten die anderen darüber unterrichten. Und dann mussten sie gemeinsam mit ihnen hier her zurückkehren. Es würde alles zerstören. Eugeñio hatte Angst. Aber er hatte auch keine Wahl. Was würde aus Julie werden? Was aus seinem Kind? Konnte sie unter diesen Umständen dem Kind überhaupt noch das Leben schenken? Er würde ihre Schwangerschaft sofort beenden, um ihr Leben zu retten. Wenn er könnte! Der Vampir spürte, wie ihm die Tränen die Wangen hinunterliefen. Mein Gott, er weinte! Gaston hatte seine Tränen gesehen, aber er sagte nichts. Und es war Eugeñio auch egal. Sein Glück, sein Leben waren hier und jetzt zu Ende! Oder, na ja, er hatte ja noch eine Galgenfrist. Aber diese durften sie nicht lange hinauszögern. Oh verdammt!
    „Alles klar?“ Gastons Stimme klang mitfühlend und traurig. „Wir können nicht zulassen, dass die beiden Welten kaputt gehen. Du weißt es!“
    Eugeñio nickte.
    „Was meinst du, zu welcher Tageszeit wird sie uns zurückschicken?“ Gaston versuchte, ihn abzulenken. Er war ihm dankbar. Auch wenn es seinen Schmerz nicht ablenken konnte.
    Im Gegenteil: Diese Frage sagte ihm nur, dass sie bald wieder in ihr altes Leben zurückkehren würden. Zur ewigen Dunkelheit. Zum Blut. Zum Schmerz.—Zur Einsamkeit!
    Er dachte kurz über Gastons Frage nach. Dann zuckte er nur die Schultern. Die Wahrheit war, dass es ihm scheißegal war. Es war ihm völlig gleichgültig, ob die Sonne sie verbrannte. Für ihn würde sein Leben sowieso zu Ende sein, sobald sie die Grenzen passiert hätten! Er wollte nicht ohne Julie leben! Er konnte es nicht mehr!
    „Glaubst du nicht, dass Julie das anders sieht? Sie wird dich brauchen.“
    Es war schon merkwürdig, dass Gaston seine Gedanken gelesen hatte, ohne dies nach Art der Vampire zu tun.
    „Glaubst du das Kind ist dann noch normal?“ fragte er Gaston leise. „Ein Vampir wird sie töten. Und ich kann nichts dagegen tun!
    Gaston legte ihm den Arm um die Schultern.
    „Hey Mann, wir werden ja sehen. Vielleicht wird alles ganz anders, als wir erwarten. Du musst es auf dich zukommen lassen. Ok?“
    Eugeñio war Gaston dankbar. „Können Vampire auch Freunde sein?“
    *

    Es krampte ihm das Herz. Julies Hautfarbe war so weiß! So weiß wie frischer Kalk. Sie brachte kein Wort heraus. Hilflos schluchzend klammerte sie sich an ihn. Eine Hand hatte sie auf ihren gewölbten Leib gelegt. Die andere hielt ihn so fest! Unbewusst streichelte sie das Ungeborene, während sie versuchte, bei ihm Halt zu finden. Ein trockener heftiger Anfall verhinderte, dass sie atmete. Eugeñio drückte sie an sich, hielt sie fest. Mehr konnte er nicht tun. Sein Herz wurde in diesem Moment von zwei eiskalten Händen zerquetscht! Sie standen schon ein paar Minuten so, wie zwei Ertrinkende klammerten sie sich aneinander.
    „Wann?“ presste Julie schluchzend hervor.
    „Jetzt. Sofort!“ Wie gerne hätte er diese Worte jetzt nicht gesagt! Es tat so weh! Alles würde er geben, wenn er nur irgendetwas daran ändern könnte! „Wir können diese Welt nicht länger der Gefahr aussetzen. Wir haben keine Zeit mehr.“ Er hob ihr Gesicht an, küsste sie gequält auf den Mund. Sein Mund verzog sich, als ihre Lippen sich lösten. Doch er musste stark sein. In Julies Augen glitzerten noch die Tränen, aber er spürte, wie sie sich zusammenriss. Sie war so stark!
    „Wir haben also keine Wahl?“ fragte sie, aber Eugeñio wusste, dass sie die Antwort bereits kannte. Er schüttelte den Kopf.
    „Glaube mir, unser Kind hätte auch hier keine Chance.- Genauso wenig wie unsere Liebe.- Komm, lass uns …!“
    Eugeñio sah seiner Frau noch einmal in die blauen Augen, die jetzt vom Weinen noch dunkler waren. Sie nickte.
    Als hätten sie nur darauf gewartet, hörten sie nun den Ruf, der alle versammeln würde. Die Menschen des Blauen Landes brauchten nie lange, wenn dieser Ruf ertönte. Er küsste sie noch einmal. Dieser Kuss war so
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