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Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
Autoren: Hugo Ball
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ich
    Verliebt in die verrückte Welt.
    Jenen Rhythmus des Gegensatzes, vor allem aber jene Einflüsse der
    harten, grausamen, sehr unromantischen Welt erfassen, hieß in die
    persönliche Trieb- und Motivkraft, in den Mechanismus des
    Reagierens selbst eingreifen. Das hieß alle andern, sekundären
    Widersprüche auf ihre Einheit und Wurzel zurückführen; hieß die
    geheime Triebfeder alles Tuns, hieß die formale Kraft der eigenen
    Seele in den Mittelpunkt der Gestaltung rücken.
    Wie in einen Brennspiegel faßt diese Fragen, vorerst noch in aller
    Heiterkeit, der 1924 nach längerer Pause unter dem Titel
    »Psychologia balnearia« erschienene »Kurgast« zusammen. Es ist
    das vergnüglichste Büchlein, das Hesse geschrieben hat. Mozart
    hatte ihn damals im Anschluß an das Papageienhaus von Careno
    wieder viel beschäftigt. Der vogelgestaltige Papageno begleitet den
    Dichter 1923 nach Baden in den Verenahof. Hesse hat in der Zeit der
    Inflation
    ein
    kleines
    Märchen,
    »Piktors
    Verwandlungen«,
    geschrieben, das er, von eigener Hand illustriert, nicht müde wird,
    immer wieder zu schreiben, immer tiefer und bunter zu illustrieren.
    Mancher seiner nahen Freunde besitzt es in dieser Gestalt und freut
    sich der fröhlichen Zauberei; im Druck ist es leider kaum zugänglich.
    Nach Baden nun hat Hesse das ganze Glöckchenspiel und die
    Pansflöte des Papageno mitgenommen, und von solch lustigem
    Schellen- und Flügelwesen bezieht die Musik seines »Kurgast« ihre
    graziöse Beschwingtheit.
    Der Privatmann Hesse hat sich zur Kur in den »Heiligenhof«
    begeben. Er leidet an Ischias, an einer Stoffwechselkrankheit; er
    möchte sich gleich seinem Piktor verwandeln. Aber diese Ischias ist
    verdächtig. Der ärztliche Befund rechtfertigt nicht ganz den
    gemachten Aufwand an Leiden; es ist ein bedenkliches Plus an
    Sensibilität da. Ein befremdliches Plus im Reagieren auf Arzt und
    Umgebung; in der Umständlichkeit des Betrachtens, in hundert
    Hinweisen. Alle Anzeichen deuten auf eine Neurose, auf eine

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    Gemütserkrankung. Und nicht nur die Anzeichen deuten darauf hin;
    es ist auch direkt davon die Rede, wenn auch humorvoll negierender
    Weise. Es ist ein ungewöhnlicher Kurgast; nahezu ein Querulant. Er
    hat seinen eigenen Doppelgänger mitgebracht und spricht von einer
    Doppelmelodie, von einer Spaltung, deren Brücke er nicht zu finden
    vermag. Ein wenig neigt er auch zur Streitsucht. Die harmlosesten
    Menschen, sie mögen nur einen nach der Technik riechenden Namen
    wie Kesselring haben, reizen ihn bis zur Wut.
    Gewiß, mit diesem Herrn Hesse stimmt etwas nicht; der Dichter
    selber sagt es. Er zeigt diesen Herrn Hesse, aber er ist weit entfernt,
    ihn anzuerkennen und gelten zu lassen. Er ist vielmehr geneigt, ihm
    reichlich aufzuladen. Alle Torheit und allen Griesgram, alle Unarten
    und Skurrilitäten, die er in Baden antrifft, lädt er seinem kranken
    Doppelgänger auf. Der hat alles allein verschuldet; sogar am
    Regenwetter ist er schuld. Die leisesten Vergnügungen, ein Tropfen
    Bier, ein wenig Kino und Kurmusik kreidet er ihm als schreckliche
    Laster und Ausschweifungen an. Diese Lust zur Selbstbelastung und
    Selbstverwerfung ist so groß, daß sie abermals auffallen und einen
    eingefleischten Rigorosus und Sittenprediger bezeichnen würde,
    wenn, ja wenn der Dichter Hesse nicht so gut Bescheid wüßte; wenn
    er nicht die Bonhommie aufbrachte, stets eine gute Dosis Humor
    hineinzumengen, das heißt die fünf gerade sein zu lassen.
    Schon der Beginn des Büchleins ist eine Huldigung für Jean Paul, den
    Humoristen und Dialektikus, den Verfasser von »Dr. Katzenbergers
    Badreise«, und wenn man zusieht, haben die beiden Dichter und
    Kurgäste eine besondere Ähnlichkeit. Dr. Katzenberger, der
    Verfasser einer »De monstris epistola«, weiß diese seine monströse
    Neigung wohl zu begründen und zu verteidigen. Sie erscheint
    (scherzhaft) als die natürlichste Sache von der Welt, weil das Gesetz
    der Natur nur an der Abnormität zu erkennen sei. Und ebenso sucht
    der Dichter Hesse die Illusion durchzuführen, als handle es sich bei
    seinem Kurgast keineswegs um eine ernstliche Störung seines
    Verhältnisses zur Gesellschaft, sondern um eine ganz richtige und
    famose Veranlagung, während alle Umgebung unsinnig und
    monströs erscheint. Aber man merkt doch, – ebenso wie bei Jean
    Paul, denn der Dichter läßt es durchblicken –, welchen Aufwand es
    kostet, diese Illusion zu behaupten.

    158
    Der Dichter kennt
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