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Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk

Titel: Hermann Hesse Sein Leben und sein Werk
Autoren: Hugo Ball
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alle seltsamen Zustände seines Kurgastes so
    überaus gut, als sei es nicht nur der Ischiatiker Hesse, um den es
    geht, sondern der Dichter selbst. Und aus diesem kaum greifbaren
    lustigen Doppelspiel zwischen den beiden Hesses, dem Kurgast und
    dem Dichter, dem »Ischiatiker« und seinem Beobachter, entsteht der
    Witz des Buches. Sogar in der Szene, wo es ernst zu werden droht,
    wo es zu einem Raufhandel zwischen besagtem Kurgast und dem
    Herrn Kesselring zu kommen droht –, wie liebenswürdig weiß der
    Dichter den Handel in ein donquichottisches Selbstgespräch
    hinauszuführen. Auch in der Szene mit dem anklägerischen
    Holländer, der so unverschämt gesund ist –, wie launig spielt sich die
    ganze Auseinandersetzung mit dem Zimmernachbarn nur in der
    Vorstellung, der Phantasie ab. Der Kurgast und auch der Dichter
    Hesse, sie scheinen zu visionären Selbstgesprächen zu neigen, die
    mit Ischias natürlich nichts mehr zu tun haben.
    Dann aber, nachdem Kurgast und Dichter längst eine einzige Person
    geworden sind; nachdem eine herzhaft aufsteigende Lachlust des
    Beobachters die etwas stockige, vordergründige Badeatmosphäre
    zerblasen hat, beginnt man mit einemmal zu empfinden, daß es sich
    nicht nur um Symptome, sondern um ein Symbol handelt; daß da
    neben Scherz, Satire und Ironie auch eine tiefere Bedeutung ist. Der
    Zeitgenosse selbst, in Literatur und Gesellschaft, ist ein solcher
    Kurgast, dessen Krankheit man nicht recht festzustellen vermag.
    Nicht nur eine kleine und spezielle, sondern auch eine große, eine
    allgemeine Flucht in den Heiligenhof hat begonnen. Und es wird sehr
    fühlbar, daß der Dichter Hesse Probleme und Beängstigungen hat,
    die er, nach seiner Gewohnheit, mehr zu verbergen als zu enthüllen
    bestrebt ist. Es kommen da in der lustigen Partitur einige
    wohlarrangierte Paukenschläge, einige Schwergewichte und heftige
    Tremolos, die offenbar durch die frohe Lustigkeit nur vorbereitet
    waren.
    Da steht mitten in einem mondänen Text auf einmal das
    Christengebot von der Nächstenliebe so neu, als handle es sich um
    eine Yogamethode, und man erinnert sich, daß schon der Präzeptor
    Lohse dieses Gebot gegen eine Gemütskrankheit verordnet hat. Da
    steht der seltsame Passus von der Doppelmelodie und den
    auseinanderstrebenden Polen, die der Dichter Hesse immer wieder

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    zusammenzubiegen versuche, ohne daß es ihm gelingen wolle. Und
    da steht, tröstlich zu vernehmen, die Selbstgemahnung, daß er, der
    die Stimme der indischen Götter vernommen, so jämmerlich habe
    dem Krankheitszauber erliegen können. Die ganze Problematik ist
    vorhanden, und doch nur so, wie ein graziöses Sigill die
    Anfangsbuchstaben enthält. Für den Kundigen ist alles gesagt, und
    doch kann man das Wort nicht greifen, nicht dingfest machen. Diese
    leichten, hingewehten Sätze deuten auf eine schlimme Depression,
    die alle Welt beherrscht, und das Thema ist doch so sehr mit den
    Fingerspitzen, mit soviel Behutsamkeit angepackt, als gelte es die
    äußerste Delikatesse und Vorsicht, die äußerste Schonung und
    Begütigung, um nur ja auch nicht die Idee aufkommen zu lassen, es
    gehe hier um so bösartige, melancholische, verzwickte und
    verfädelte Dinge, wie sie die Seelenärzte in ihren lächerlich einfachen
    Rubriken führen.
    Mit diesem Büchlein von knapp hundertsechzig Seiten findet sich
    Hesse mitten im Thema der Neurose des modernen Künstlers; einem
    Thema, das mit heftigem Akkord der »Klingsor« eingeleitet hatte.
    Dieses letztere Buch war unbewußt entstanden. Als der Dichter die
    Erzählungen »Kinderseele« und »Klein und Wagner« schrieb, war
    ihm kaum deutlich, welchen Gesamtaspekt jenes Buch durch die
    Hinzufügung der Titelnovelle bekommen würde. Wenn ich nicht irre,
    ging ihm das Thema, von dem hier zum Schlusse zu sprechen ist,
    erst bei der Zusammenstellung der drei Erzählungen zu einem
    Bande, vielleicht sogar erst später auf. Im Zusammenhang stellt
    »Klingsor« das Problem der Romantik, und zwar ihr pathologisches,
    ihr Leidensproblem dar; neben dem Dichter Hesse erscheint ein
    Denker von beträchtlicher Tiefe und Finesse. Die Entstehung der
    Klingsor-Komposition zeigt aber auch, daß dieser Autor sich seine
    Problematik keineswegs wählt, daß sie ihm vielmehr inmitten seines
    Erlebens überraschend aufleuchtet. Mir scheint, das deute auf eine
    Berufung, auf eine Erwählung zum Instrument für besondere
    Anliegen einer Macht, die Hesse im »Kurgast« analytisch erst
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