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Hering mit Heiligenschein

Hering mit Heiligenschein

Titel: Hering mit Heiligenschein
Autoren: Claudia Toman
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dabei mehrere Kilogramm Salz und Fett in Form von Kartoffelchips zuführte.
    Es hilft nichts. Es ist der Abend des achtzehnten Juli, keine zwanzig Stunden trennen mich noch von meiner Trauung, und mein letzter Versuch, das Hochzeitskleid probeweise anzuziehen, ist offiziell gescheitert. Die Luft in meiner Neubauwohnung steht. Es hat bestimmt dreißig Grad, daran ändert auch der unermüdliche Fleiß meines USB-Ventilators nichts. Dieses dekorative, aber nutzlose Teil hat mir meine beste Freundin und Trauzeugin Minna zur Beförderung geschenkt. »Meiner hitzigen Leni. Für einen kühlen Kopf im Blätterdschungel«, stand in ihrer schiefen Schrift auf dem Kärtchen. Damals fand ich das witzig. Schließlich arbeite ich als Redakteurin für die zweitpopulärste österreichische Tageszeitung praktisch rund um die Uhr am Computer. Ohne meinen Laptop bin ich nur ein halber Mensch. Tim lacht jedes Mal, wenn die Rotorblätter des Miniaturventilators sich größte Mühe geben, die Röte aus meinem Gesicht zu fegen.
    Ich werde nämlich immer rot. Ich werde rot, wenn ich mich ärgere, wenn ich mich freue, wenn ich mich schäme, beim Sex, in der überfüllten U-Bahn, auf dem Crosstrainer und eben auch, wenn ich mich konzentriere.
    »Tomatenkopp«, sagt Tim dann immer und weiß ganz genau, wie ich es hasse, wenn er seine norddeutsche Herkunft raushängen lässt.
    »Das heißt bei uns Paradeiserschädel, merk dir das, du Affe«, pflege ich ihm zu antworten. Dann legt er lächelnd die Hand an meine Stirn, als würde er Fieber messen, und schüttelt sie anschließend jaulend, als hätte er sich verbrannt.
    Tim, denke ich, während ich mit einem Ruck das Kleid nach unten ziehe, Tim, dieser nervende, lächerliche, unerträgliche Kindskopf. Tim mit dem ewigen Babyface und der frisurresistenten Strubbelmähne. Tim, der treffsicher jedes verfügbare Glas umstößt, besonders wenn es eine Substanz enthält, die Flecken macht, die nie mehr rausgehen. Tim, der von jedem Besuch bei Mutti eine Reisetasche voller Tupperware mitbringt, gefüllt mit den schlimmstmöglichen Fischspeisen, damit der arme Junge in Ösiland nicht verhungert. Tim, der Socken drei Tage trägt, wenn man ihn nicht mit gezücktem Küchenmesser daran hindert. Tim, den man zu romantischen Liebesfilmen nicht ins Kino mitnehmen kann, weil er von Anfang bis Ende lauthals lacht und blöde Kommentare loslässt. Tim, der am liebsten fettige Hühnchenflügel mit den Fingern direkt aus der Pfanne isst. Tim, den ich morgen Nachmittag heiraten werde.
    Mein Spiegelbild in weißer, einschneidender Satinunterwäsche gräbt sich die Fingernägel in die Oberschenkel, bis sie rote Halbmonde hinterlassen. Nein, das ist kein Alptraum. Das ist eine Scheißkatastrophe!
    ***
    »Du hast WAS?« Minnas Stimme betont die letzte Silbe, als wäre sie ein Gummihammer, mit dem sie mir auf den Kopf schlagen möchte. Mein Anruf unterbricht sie ungünstigerweise mitten in der letzten heiklen Zählung der Tischkärtchen, die Tims graphisch hochbegabter Bruder Thomas, den alle sinnigerweise Tam nennen (Tim und Tam, ein verlässlicher Gag bei Familienfeiern), in liebevoller Handarbeit entworfen hat. Tam ist homosexuell, ansonsten aber Tims hübscheres, geschmackssichereres Ebenbild. Ich höre ihn im Hintergrund kichern. Auch das noch! Minna hat auf Lautsprecher geschaltet. Ich huste die Panik aus meiner Stimme und wiederhole die Worte laut und deutlich.

Leseprobe zu Claudia Toman, Porträt in Orange
    W arum muss es ausgerechnet Aperol sein? Das ist dieser Schieß-mich-tot-Likör in Nimm-Zwei-Orange, den sich seit letztem Sommer ganz Wien in den Prosecco kippt. Ich habe den Verdacht, dass Aperol das neue Tramezzini ist, oder, anders gesagt, die augenblickliche Modewelle aus Italien, die jedes Cateringbuffet mediterranisiert. Was mich aber besonders nervt ist die Farbe, die unnötigerweise alle Blicke auf sich zieht. Wie viel besser wäre blassgelber Cappy-Sekt oder durchsichtiger James-Bond-Martini. Durchsichtig ist generell eine gute Idee. Ich betrachte die beiden Gläser in meiner Hand.
    »Lachsbrötchen?« Eine Catering-Angestellte mit gelangweiltem Gesichtsausdruck hält mir ein Tablett vor die Nase. Orange, schon wieder, vermutlich eine wenig subtile Form von Corporate Design. Der Fisch glänzt verlockend, er ist mit einem Tupfer Mayonnaise, einem Salatblatt und etwas Kaviar garniert. Mein lautstark knurrender Magen erinnert mich daran, dass ich heute noch nichts Anständiges gegessen habe, abgesehen von
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