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Hering mit Heiligenschein

Hering mit Heiligenschein

Titel: Hering mit Heiligenschein
Autoren: Claudia Toman
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einhält. Nun stehe ich mitten im Winter barfuß auf dem Balkon des Hotel Imperial, zupfe an dem lädierten Heiligenschein in meinen Haaren und starre in den sternenklaren Nachthimmel.
    Da passiert es. Als hätte jemand in Hollywood das Drehbuch geschrieben, bewegt sich dort oben etwas. Zuerst denke ich, es handelt sich um ein Flugzeug, aber dazu bewegt es sich zu schnell und in zu steilem Winkel. Eine Sternschnuppe, tatsächlich! Ein Zeichen von oben, bestimmt, eine letzte goldene Chance. Mit wilder Entschlossenheit funkt mein Herz SOS ins Universum. Doch weit und breit keine Fee. Dafür ...
    »Hast du dir etwas gewünscht?«
    Ich drehe mich um. Moritz steht in der Balkontür und verfolgt den Himmelskörper mit den Augen, bis er verglüht ist.
    »Ich nämlich schon.«
    Entschlossen tritt er auf mich zu, nimmt mein Gesicht in beide Hände und küsst mich. Ich habe solche romantischen Szenarien immer für eine Erfindung der Dichter gehalten, aber hier bin ich, Åsa Glück, an Heiligabend mit einem wunderbaren Mann im Mondschein auf dem Balkon einer Luxussuite. Wie wundervoll! Wie märchenhaft! Wie schrecklich! Ich darf das nicht zulassen. Wenn mir schon morgen früh nichts mehr bleiben soll, dann ist es auch besser, nicht zu viel zu verlieren zu haben.
    Ich stoße den verblüfften Moritz weg, schäle mich bereits auf dem Weg in die Suite aus Christkindkleid und Christkindflügeln, schlüpfe hastig in Jeans, Poloshirt und Turnschuhe, greife nach meiner Handtasche und laufe ohne einen Blick zurück auf den Flur. Dann eile ich, da der Fahrstuhl nicht da ist, die Treppe hinunter. Hinter mir höre ich Moritz’ Rufe, doch ich bleibe nicht stehen, sondern beeile mich nur umso mehr. Ich wohne im vierten Stock ohne Lift. Für dieses tägliche Treppentraining bin ich nun enorm dankbar, denn ich habe bereits einen gewaltigen Vorsprung, als ich aus dem Hotel auf die Straße stürme und in das erste wartende Taxi springe.
    »Vierter Bezirk«, keuche ich, »schnell!«
    Der Fahrer glotzt mich an. Mir fällt ein, dass immer noch ein windschiefer Heiligenschein irgendwo in meinen Locken hängt.
    »Ich sagte
schnell

    Der Fahrer startet den Wagen, gerade als Moritz durch den Haupteingang gerannt kommt, mich entdeckt und auf das Taxi zuhält. Seine Finger hinterlassen Streifen an der Seitenscheibe. Ich starre sie an, bis sie im Tränenschleier verschwimmen, während das Taxi nach rechts auf den Schwarzenbergplatz abbiegt.
    Was für eine Scheiße!
    ***
    Es ist nicht das Radio, das mich weckt, sondern das Telefon. Ich besitze noch einen klassischen Festnetzanschluss, da man diesen im Paket mit Handy und Internet bekommen konnte und meine Eltern Anrufe auf mein Mobiltelefon strikt verweigern. Es klingelt acht Mal, dann schaltet sich der Anrufbeantworter ein.
    »Hallo, Küken«, ertönt die bestens gelaunte Stimme meiner Mutter, »ich hoffe, du bist gut nach Hause gekommen. Es sind noch genügend Reste da, wenn du Hering möchtest, komm einfach später vorbei, dann kannst du auch Papa mit der Heckenschere helfen. Findest du nicht, dass die Mädchen nach Oma und Opa Hildesson kommen? Du solltest dir langsam mal einen netten Mann suchen, womöglich feiern wir nächstes Weihnachten bereits zu neunt! Ruf mich an, Kind!«
    Ich stöhne, drehe mich auf die Seite und lese die Ziffern auf meinem Wecker. Schon zehn vorbei. Welcher Tag überhaupt? Der erste Weihnachtsfeiertag. Der fünfundzwanzigste Dezember!
    Mit schrecklich und faltenfördernd gerunzelter Stirn setze ich mich langsam auf. Das ist doch nicht möglich! Meine letzte Erinnerung ist die an die Verlagsweihnachtsfeier. Eine seltsame Figur im Engelskostüm hat mir einen Wunsch freigestellt. Zu Hause habe ich noch vor dem Schlafengehen das Wunschwellenprinzip gegoogelt und herausgefunden, dass es so etwas tatsächlich gibt. Doch bis zu diesem Moment hätte ich es nicht für real gehalten. Aber da ist nichts. Kein Fünkchen Erinnerung an den Weihnachtstag. Als hätte er nie stattgefunden. Meine Mutter scheint davon jedenfalls nichts bemerkt zu haben. Offensichtlich ist Weihnachten wie jedes Jahr in grenzenloser Monotonie über die Bühne gegangen. Heringe zum Abendessen, geschenkte Heckenscheren, streitende Kinder. Nur in meinem Hirn ist nichts hängengeblieben. Toll!
    Fröhlich mache ich einige Yoga-Übungen und beschließe, gleich nachher meine Geschichte in diesem Wunschforum einzutragen. So einen originellen Wunsch hat schließlich nicht jeder zu bieten.
    »But the very next day, you
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