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Hering mit Heiligenschein

Hering mit Heiligenschein

Titel: Hering mit Heiligenschein
Autoren: Claudia Toman
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gave it away. This year, to save me from tears ...«
    Der Radiowecker hat sich eingeschaltet und der Wham-Song, den scheinbar irgendein idiotischer DJ noch nicht ausreichend zu Tode gespielt hat, dröhnt mir in den Ohren.
    »I’ll give it to someone special!«
    Ich drücke den Knopf und das Gerät verstummt, doch etwas hallt nach, eine tief verborgene Erinnerung, ein Gefühl wie ein Déjà-vu, als hätte ich was Wichtiges vergessen.
    Unsinn. Der vierundzwanzigste Dezember ist, wie gewünscht, aus meinem Gedächtnis gelöscht, und das ist gut so. Ich springe zufrieden aus dem Bett und summe den Refrain vor mich hin. Nicht einmal der penetrante Ohrwurm kann heute meine hervorragende Laune zerstören. Ich werde ein ausgedehntes Frühstück genießen, die Zeitung von gestern lesen – ein Gedanke, der mich amüsiert – und mich danach mit einem guten Buch aufs Sofa verkrümeln, bis die schreckliche Fischmenge in meinem Bauch verdaut ist. Es wundert mich eigentlich, dass ich solchen Hunger habe. Summend gehe ich ins Bad, mache Licht, drücke Zahnpasta auf die Zahnbürste, stecke sie in meinen Mund, beginne zu putzen und halte auf einmal verdutzt inne. Da hängt etwas in meinen Haaren, das so aussieht wie einer dieser billigen Pappheiligenscheine, die man in Scherzartikelläden zu kaufen bekommt. Wieso habe ich so einen Mist auf dem Kopf? Nie im Leben hätte ich mir so ein Ding ...
    Es klingelt. Nicht auf meinem Handy, auch nicht auf dem Festnetztelefon, sondern an meiner Wohnungstür. Aber wer kann das sein? Vielleicht die alte taube Nachbarin, um mir frohe Weihnachten zu wünschen, nachdem ihr heute eingefallen ist, dass sie es gestern vergessen hatte? Wahrscheinlich.
    Ich spucke die Zahnpasta aus, spüle meinen Mund und zupfe noch auf dem Weg zur Tür an dem lästigen Heiligenschein, der sich irgendwie in den Strähnen verfangen hat. Das Biest lässt sich einfach nicht lösen. Genervt reiße ich die Wohnungstür auf und erstarre mitten in der Bewegung.
    Draußen steht nicht etwa die kleine, dicke schwerhörige Nachbarin mit einem Teller Kekse, sondern ein großer, absolut hinreißender Mann mit dunklen Haaren und grünen Augen, der mich strahlend und schief angrinst.
    »Ja bitte?«, frage ich zögernd, was ihn zu verunsichern scheint.
    »Ich wollte sehen, ob mit dir alles in Ordnung ist. Du warst gestern so schnell weg. Vielleicht war ich etwas zu forsch, das tut mir leid.«
    »Gestern ...?«
    Mein Hirn läuft auf Hochtouren. Ich habe keine Ahnung, wer der Typ ist, der da vor meiner Tür steht. Möglicherweise ein Verrückter. So einer, der alleinstehende Frauen in ihren Wohnungen überfällt und ausraubt. Oder aber ...? Nein, unmöglich. Die Fee hat gesagt, dass alles vergessen ist, was am vierundzwanzigsten passiert.
    »Entschuldigung, kennen wir uns?«
    Der Mann lacht vergnügt, ein angenehm tiefer, sanfter Laut.
    »Er meinte auch, dass du das sagen wirst.«
    »Wer?«
    »Der Feerich.«
    Jetzt begreife ich überhaupt nichts mehr.
    »Die Sternschnuppe. Kurz bevor du weggelaufen bist. Ich habe mir gewünscht, dass wir uns wiedersehen. Nachdem du im Taxi abgerauscht bist, stand auf einmal eine äußerst chaotische Person im Engelskostüm vor mir, erzählte mir was von Wunschfeen und Sternenfunken und wollte wissen, was ich mir am meisten wünsche. Ich wiederholte es: Dich wiedersehen! Die Fee druckste herum und meinte, du würdest dich womöglich gar nicht an mich erinnern. Ist das so, Åsa?«
    Die herrlich leuchtenden Augen bohren sich in meine. Ich kenne ihn nicht, aber gleichzeitig habe ich ein ganz starkes Gefühl, dass wir uns schon mal begegnet sind. Zwei Empfindungen kämpfen miteinander, zwei Wahrheiten liegen übereinander, doch mir fehlt die 3-D-Brille, um daraus ein Bild zu formen.
    Auf seiner Stirn bildet sich eine steile Falte. Er zögert, zieht schließlich etwas aus seiner Jackentasche und geht vor mir in die Knie. In dem Moment öffnet sich die Tür der Nachbarin. Irritiert schaut die alte Frau auf die seltsame Szene, die sich ihr bietet. Ich blicke auf den Gegenstand, den der kniende Mann mit beiden Händen hält, und kippe vor Staunen fast um. Es ist ein goldener Schuh. Der Mann greift nach meinem rechten Fuß, zieht ihn sanft, aber bestimmt zu sich und streift mir den Pumps über. Ich kann mich gerade noch am Türrahmen festhalten.
    »Er passt«, flüstert der Mann.
    »Wie angegossen«, antworte ich.
    »Na also.«
    Er steht auf, sieht mich prüfend an und fischt mir geschickt den Heiligenschein aus
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