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Herbsttagebuch: Roman (German Edition)

Herbsttagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
Autoren: Kerstin Hohlfeld
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ich rasch.
    »Sollen
wir mitkommen?«, fragt Vicki. »Geht es dir nicht gut?«
    »Keine Sorge«,
antworte ich. »Ihr macht mal eure Hausbegehung und schüttelt euren Bauleuten die
Hände. Ich habe auch noch etwas vor.«
    »Meinst
du, du hast Glück?«
    Ich habe
Vicki verraten, dass ich auf Spurensuche gehen will. Mir fiel eines der Kinder vom
Reiterhof ein, das mir erzählt hat, irgendwo hier draußen gäbe es ein einzelnes
Grab.
    »Keine Ahnung«,
antworte ich. »Aber mein Gefühl sagt mir, ich finde etwas.«
    »Dann vertrau
mal deinen Gefühlen«, sagt Vicki, und ich registriere freudig, dass in ihrer Stimme
der spöttische Unterton fehlt. »Wahrscheinlich kommst du mit einem Topf voll Goldmünzen
wieder.«
    Zu früh
gefreut.
    »Aber in
zwei Stunden musst du zurück sein«, sagt Daniel. »Da fängt doch …«
    Vicki knufft
ihn in die Seite. »… unser Kaffeetrinken beim Pastor an, genau.«
    Vicki lächelt
ganz unschuldig bei diesen Worten, aber mir ist völlig klar, dass sie irgendetwas
im Schilde führt.
    Bald habe
ich Vickis schelmischen Gesichtsausdruck vergessen und lasse mich gefangen nehmen,
von dem verwunschenen Fleckchen Erde, auf dem Augusta vor 100 Jahren gelebt und
genau wie wir das Weihnachtsfest vorbereitet hat. Das Fest, das sie dann nie erleben
sollte.
    Wieder läuft
mir eine Träne herunter. Jetzt, wo ich ganz allein bin, gestatte ich mir, ganz tief
in diesen seltsamen Schwebezustand aus Glück und Unglück einzutauchen, der in letzter
Zeit von mir Besitz ergriffen hat.
    Wenn ich
mir mein Leben von außen anschaue, dann stehe ich als absolutes Glückskind da. Ich
habe eine stürmische Karriere als Kostümbildnerin hingelegt, hatte eine leidenschaftliche
Beziehung, lebte in einem Traumhaus im besten Stadtteil Berlins und alle paar Tage
konnte ich Fotos von mir und Leo in der Zeitung bewundern. Alles richtig! Oder?
    Warum fühle ich mich dennoch total leer?
    Unter meinen Füßen knacken Zweige. Mein Atem zaubert weiße
Rauchwölkchen in die eiskalte Luft. Ich spüre keine Kälte, nur heiße Tränen, die
über meine Wangen laufen. Kein Selbstmitleid dieses Mal, nur Trauer und tiefes Bedauern.
Mir fehlt Basti! Und so sehr ich mich bemühe, das Gefühl dieses Verlustes wird mich
so schnell nicht loslassen.
    Immer tiefer laufe ich in den Wald hinein. Ich mache mir
keine Sorgen, dass ich nicht zurückfinden könnte, schließlich bin ich auf dem Land
aufgewachsen und habe meine halbe Kindheit auf Feldern und in Wäldern verbracht.
    Die Einsamkeit
ist der Garant dafür, dass ich ungestört trauern kann.
    Auf einer
kleinen Lichtung halte ich inne. Die beinahe kreisrunde Stelle im Wald ist von nahezu
überirdischer Schönheit. Sonnenstrahlen tanzen auf dem gefrorenen Waldboden.
    Vor meinem
inneren Auge entsteht ein Bild. Ich sehe Augusta im Sommer auf einer Decke sitzen
und mit den Kindern des Verwalters picknicken. Hier ist sie gewesen. Das weiß ich.
    Am Rand
der kleinen Lichtung steht eine ausladende alte Eiche. Ein richtiger Mutterbaum.
Und darunter leuchtet, in der grauen, klirrenden Kälte ganz unwirklich, eine feuerrote
Rose.
    Langsam,
mit bedächtigen Schritten, nähere ich mich dem Naturwunder.
    Und dann
habe ich sie gefunden.
    ›Zum Gedenken
unserer verehrten Augusta von Liesen‹
    Auf einem
kleinen Marmorstein, sorgsam eingemeißelt.
    »Da bist
du ja«, sage ich froh und wische mir die tropfenden Augen mit dem Jackenärmel ab.
Fast erwarte ich ihre Stimme zu hören, doch es ist ganz still im Wald. Nur die Zeit
bleibt stehen. »Ich habe dir etwas mitgebracht.«
    Während
ich rede, hole ich das Tagebuch aus der Tasche. »Es hat mir viel bedeutet, darin
zu lesen. Aber jetzt sollst du es zurückbekommen. Weißt du, ich muss dir etwas erzählen.«
Ich halte kurz inne, um mir die Nase zu putzen. »Mit deinem Haus wird endlich alles
gut. Es gehört jetzt nämlich deiner Großnichtentante … äh … Urgroß… Also, es gehört
Vicki, sie ist deine Verwandte, und sie wird es wiederaufbauen und mit ihrem Mann
und ihrem Kind darin wohnen. Sie ist genauso eine tolle Frau wie du und ich bin
sicher, du würdest sie mögen.«
    Als ich
mich bücke, um das Tagebuch auf den Grabstein zu legen, sehe ich, dass die Rose
kein Naturwunder ist, sondern in einer kleinen Vase steht. Sowohl das Wasser als
auch die Blüte sind gefroren.
    In diesem
Moment höre ich, wie sich Schritte nähern. Obwohl ich nicht glaube, dass mir hier
draußen Gefahr droht, überzieht mich dennoch eine Gänsehaut. Hastig drehe ich mich
um.
    Eine
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