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Herbsttagebuch: Roman (German Edition)

Herbsttagebuch: Roman (German Edition)

Titel: Herbsttagebuch: Roman (German Edition)
Autoren: Kerstin Hohlfeld
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zurück nach Berlin. Vor Leos Haus setzt sie mich ab. »Hier wohnst du also?«
    »Nicht mehr
lange«, sage ich und vor meinem inneren Auge erscheint eine mit Lametta und Weihnachtskugeln
geschmückte Palme.
    »Warum?«,
fragt Vicki. »Ich habe vorhin am Telefon was mitgehört, aber nicht wirklich kapiert.«
    »Leo … er
will, dass ich mit ihm nach Kalifornien gehe.«
    »Und? Was
willst du?«
    »Ich glaube,
ich will lieber hierbleiben«, antworte ich wahrheitsgemäß. »Aber ich gehe trotzdem
mit.«
    »Wenn das
mal nicht typisch Rosa ist …«, lacht Vicki und umarmt mich fest. »In deinem Zimmer
ist übrigens alles noch so, wie du es zurückgelassen hast.«
    »Warum sagst
du mir das?«, frage ich.
    »Schmetterlinge
brauchen doch auch ein Zuhause.«
    »Danke,
Vicki«, antworte ich gerührt.
    Sie hat
für mich eine Tür geöffnet. Ohne Bedingungen. Nun weiß ich, dass es Zeit ist für
die echte Entscheidung.
     
    *
    »Rosa, wir müssen reden.« Jemand
schüttelt mich unsanft.
    »Ich bin
müde«, knurre ich und schiebe die lästige Hand von meiner Schulter weg.
    »Wach auf.
Es ist dringend.«
    Langsam
realisiere ich, dass Leo nach Hause gekommen ist und nun seinem Ärger, nachdem ich
ihn heute beim Frühstück mehr oder weniger blamiert habe, Luft machen will. Ich
zwinge mich, meine Augen aufzuklappen und unterdrücke ein Gähnen.
    »Leo«, sage
ich. »Sorry, ich wollte eigentlich auf dich warten, aber ich war einfach zu müde.«
    Manchmal
frage ich mich, wie ich in den letzten Monaten mit nur drei bis fünf Stunden Schlaf
pro Nacht auskommen konnte, ohne zusammenzubrechen. Im Moment habe ich das Gefühl,
mir würde ein mehrwöchiger Winterschlaf ganz guttun.
    Ich will
Leo zur Begrüßung einen Kuss geben, doch er weicht zurück.
    »Ich bin
stinksauer auf dich«, sagt er, und das sieht man ihm auch an.
    »Verstehe ich«, erwidere ich und bin nun ganz wach. »Es war
einfach ein blödes Timing, weil Daniel genau in dem Moment angerufen hat, als du
deine Rede gehalten hast.«
    »Meine Rede
gehalten?«
    »Ja!«
    »Du kapierst
gar nichts, oder?« sagt er, springt auf und läuft im Zimmer herum. »Das war keine
x-beliebige Rede, Mensch. Ich war im Begriff allen zu erzählen, dass wir beide zusammen
nach Kalifornien gehen, und da springst du auf und rennst aus dem Saal.«
    Und das
dem coolen Leo, dem die Frauen normalerweise hinterher laufen.
    »Es tut
mir leid, Leo.«
    »Im Grunde
muss es dir nicht leidtun, denn was du getan hast, kam zur rechten Zeit.« Endlich
hört er auf herumzuwandern und setzt sich wieder zu mir.
    »Wie meinst
du das?«
    »Bevor wir
auf gepackten Koffern im Flieger sitzen.« Er schluckt. »So hast du Zeit, dir zu
überlegen, was du wirklich willst.«
    Ich erschrecke fürchterlich. Soll ich mich jetzt entscheiden?
In diesem Augenblick? Und wenn ich noch nicht so weit bin? »Ich weiß genau, was
ich will. Ich will mit dir nach Kalifornien«, rufe ich und nehme seine Hände in
meine. Ich will ihm nicht wehtun. Nicht schon wieder jemanden verletzen, den ich
doch eigentlich lieb habe. Damit muss ich endlich mal aufhören. Dieses Mal weicht
er nicht zurück, sondern schaut mich nur lange fragend an. »Ich will es.«
    »Und warum
bist du heute weggelaufen?«
    »Leo, du
weißt doch, wie mich dieses alte Herrenhaus beschäftigt hat. Stell dir vor, heute
sollte es abgerissen werden, aber wir konnten es im letzten Moment verhindern. Es
war wie ein Wunder, und es war total wichtig für mich, dabei zu sein.« Ich habe
mich richtig in Fahrt geredet. Meine Wangen glühen vor Aufregung und ich drücke
Leos Hände ganz fest.
    »Das sagt
eigentlich alles.«
    »Nein, sagt
es nicht«, protestiere ich. »Es war ein Abschluss heute. Das Ende einer Recherche
und jetzt, nachdem ich weiß, dass alles gut ausgegangen ist, kann ich weggehen.
Bitte glaube mir.«
    »Okay«,
nickt er und sieht halbwegs überzeugt aus.
    Das Problem
ist eher, dass ich mir selbst nicht glaube.
     
    Am nächsten Tag gehe ich endlich
Weihnachtseinkäufe machen. Bevor Leo und ich in zwei Tagen ins Flugzeug steigen,
ist noch jede Menge zu tun. Vor allem muss ich dringend in Vickis Wohnung und meine
Sommersachen holen. Ich rufe sie an.
    »Ich brauche
ein paar Sachen, Vicki«, sage ich.
    »Du kannst
gleich vorbeikommen«, antwortet sie. »Ich bin da.«
    Vorher bringe
ich meine Einkaufstüten in Leos Haus. Eigentlich könnte ich Vickis Geschenk – einen
Bildband über Herrenhäuser in Brandenburg – gleich mitnehmen, denn es ist ungewiss,
ob wir uns noch
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