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Herbstfrost

Herbstfrost

Titel: Herbstfrost
Autoren: Georg Gracher
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zu jagen. Dabei ist der Raum ziemlich zerstört
worden – auch die Deckenmalerei. Paps war in dieser Nacht zum Glück nicht
daheim.«
    »Ja, zum Glück«, wiederholte Weider, den Blick in die Ferne
gerichtet. »Der Fall Sökos war der größte, den unser Referat jemals bearbeitet
hat. Im Vergleich dazu ist der jetzige ein Lercherl. Und du, meine liebe
Nadine, wärst vor neun Jahren fast Halbwaise geworden.«
    Nadine wurde blass. Alex füllte Weiders Bierglas auf. »Ich glaube,
ich verstehe, warum Oskar so am Gästeschlafzimmer hängt«, sagte er zur
Überraschung beider. »Wenn es damals so beinhart zugegangen ist, wie du sagst,
dann stellt das unversehrt gebliebene Schlafzimmer möglicherweise eine Art
Talisman für ihn dar. Sein Beharren auf dem Status quo ist jedenfalls nicht nur
ein nostalgischer Tick, da bin ich mir sicher.«
    »So, da bist du dir also sicher?«, äffte Nadine ihn nach. »Dann
hätte er ja sein Schlafzimmer so einrichten können,
wie es vorher war. Hans, du hast ihm doch beim Restaurieren geholfen: Warum
habt ihr das nicht so gelöst?«
    »Es hätte zu viel gekostet«, sagte Alex, Sohn wohlhabender Eltern
und noch reicherer Großeltern, an Weiders statt. »Das weißt du doch. Ein
Schlafzimmer wie deines ist ein kunsthistorisches Juwel. Hans ist Fachmann, er
wird dir das bestätigen. So etwas kannst du heut gar nicht mehr bezahlen,
jedenfalls nicht mit dem Gehalt eines Kriminalbeamten.«
    Weider nickte. »Alex hat recht. Du solltest dein Schlafzimmer hin
und wieder wirklich unter diesem Aspekt betrachten, Nadine.«
    »Werde ich tun, wenn du uns mehr über den Fall Sökos erzählst«, kam
es postwendend zurück. »Paps hat ja nur gesagt, dass damals ein Anschlag auf
ihn verübt worden ist. Über das Drumherum hat er sich bisher ausgeschwiegen.«
    Weiders Brauen zogen sich zusammen. Er kannte Nadines
Beharrlichkeit.
    »Du weißt, dass ich über Interna nicht reden darf«, sagte er, »schon
gar nicht über die vom Fall Sökos.« Aber sein Tonfall klang nicht ganz so
entschieden wie der Wortlaut. »Zudem gilt in dieser Sache nicht nur die übliche
Amtsverschwiegenheit«, fügte er um Nachdrücklichkeit bemüht hinzu. »Jeder von
uns ist damals mündlich und schriftlich zum Stillschweigen vergattert worden.
Order von ganz oben!«
    »Die Omertà der Bullen also«, sagte Nadine respektlos, bevor sie
ihren Patenonkel eine volle Minute im eigenen Saft schmoren ließ. »Aber Hans«,
gurrte sie schließlich, »das ist doch alles schon so lang her. Fast zehn Jahre.
Und niemand kann so spannend erzählen wie du.«
    Hans Weider wusste es nur zu gut: In Nadines Händen wurde er zu
Wachs. Er war unfähig, ihr etwas abzuschlagen. Auch Alex sah ihn erwartungsvoll
an. No na! Ein Kriminalfall, bei dem der Vater seiner Zuckermaus mehrmals in
Lebensgefahr geraten war, konnte ihn nicht kaltlassen. Nur ein Holzklotz hätte
da kein Interesse gezeigt.
    Nach dem letzten Bissen knusprigen Schweinebauchs spülte Weider
mit einigen Schlucken Clausthaler nach und wischte sich dann mit dem Handrücken
energisch den Schaum von den Lippen.
    »Also gut. Aber ihr müsst mir alle heiligen Eide schwören, dass ihr
die Geschichte für euch behaltet. Sollte es dumm hergehen, könnte ich meinen
Job verlieren, wenn ihr es nicht tut. Und Oskar dürft ihr es schon gar nicht
sagen. Der macht sonst Schaschlik aus mir. Euer Wort drauf!«
    Nadine hob die Hand wie zum Schwur: »Wir würden nie etwas tun, was
dich in Schwierigkeiten bringen könnte, Hans. So gut dürftest du uns doch
kennen, oder?«
    Weiders Blick glitt suchend durch die Küche. »Hm, wenn ich schon
erzählen soll …«
    Alex war bereits aufgestanden, ging zum Kühlschrank und entnahm ihm
eine neue Flasche Clausthaler und für Nadine und sich gespritzten Traubensaft.
    »Tja, wie war das damals doch gleich?«, begann Weider, blies den
Rauch seiner Selbstgedrehten genussvoll in die Luft und genehmigte sich noch
einen Schluck Bleifrei.
    »Wenn ich mich recht erinnere, ist der Fall im Gasteinertal so
richtig ins Rollen gekommen.« Er runzelte die Stirn und nickte dann
bekräftigend. »Doch, ja, im Gasteinertal. Genauer gesagt im Kötschachtal, oben
am Reedsee …«

ZWEI
    Der tausendachthundert Meter hoch gelegene Reedsee zählt
zu den schönsten Bergseen der Hohen Tauern. Eingebettet in eine Senke zwischen
Graukogel- und Tischlermassiv wirkt er, von den umliegenden Gipfeln aus
betrachtet, in der Mitte fast schwarz, in Ufernähe dagegen lichtgrün.
Unwillkürlich erliegt der
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