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Herbstfrost

Herbstfrost

Titel: Herbstfrost
Autoren: Georg Gracher
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werden sie uns ebenfalls verlegen, aber dazu müssen sie
sich teilen.«
    »Und wo sollen wir dann hin?«, fragte sie. Die Angst war
zurückgekehrt. Er bemerkte es.
    »Nur die Ruhe! Ich weiß einen dritten Weg, den die Burschen bestimmt
nicht kennen. Die sind nicht von hier. Der Steig beginnt am hinteren Ende des
Sees und führt durch Latschenfelder zum Gamskarlsee und zur Lainkarscharte
hinauf. Dort ist ein Hinterhalt nicht mehr möglich. Da gibt’s keine Latschen
mehr, nur noch Geröllhalden, und das Kar ist frei einzusehen. Außerdem kann da
jeder Hubschrauber bequem landen.«
    »Aber das schaffe ich doch nie«, sagte sie verzagt. »Ich hab noch
immer ganz zittrige Beine.«
    »Doch, das können Sie. Denn ich kann Sie leider nicht tragen. Bin
schon fünfundsiebzig und kein Herkules mehr.«
    »Wie charmant! Eben wollte ich mich noch für meine Rettung bedanken,
aber unter diesen Umständen verschiebe ich das lieber.«
    Bernd Vogt schmunzelte. »Sie scheinen den Schock ja bereits
überwunden zu haben.«
    Sie seufzte. »In diesem Leben gelingt mir das sicher nicht mehr.
Aber sei’s drum, gehen wir.«
    ***
    Es wurde ein langer, zermürbender Aufstieg durch schwieriges
Gelände. Nur hier und da die Andeutung eines Jägersteigs. Die Vermutung Vogts,
dass die Schwarzledernen diese Route nicht kannten, schien sich zu bestätigen.
Jedes Mal, wenn Sarah Feldbach eine Verschnaufpause einlegen musste und
zwischen den Latschen rastete, beobachtete Vogt die Umgebung mit dem
Feldstecher.
    Lange Zeit nicht das geringste Anzeichen von Verfolgern. Doch dann
ohne Vorwarnung Gepolter in einem Graben rechts von ihnen.
    Nicht nur Sarah Feldbach zuckte zusammen. Um ein Haar hätte Vogt in
die Latschen hineingeschossen. Erst im letzten Moment begriff er, dass sie
einem Rudel Gämsen zu nahe gekommen waren. Etliche Geißen und Kitze flüchteten
panisch durch die Felsrinne steil nach oben. Aber die Gefahr war noch nicht
gebannt. Auch die Verfolger konnten das Scharren der Hufe auf den Felsen gehört
haben. Mit zitternden Knien folgte Sarah Feldbach ihrem rasch ausschreitenden
Begleiter.
    ***
    Am späten Vormittag erreichten sie den Gamskarlsee. Die Lacke
unterschied sich vom Reedsee wie die Nacht vom Tag. Schmucklos und unansehnlich
lag sie im kahlen Felsenkar, beeindruckte nur durch ihre Klarheit. Am Grund
konnte man jedes Steinchen sehen.
    Vogt wusste, er konnte von der Lainkarscharte aus mit seinem
Funksprechgerät mehrere Schutzhütten kontaktieren, und stieg hinauf. Sarah
Feldbach blieb am See zurück. Sie hätte keinen Schritt mehr gehen können. Von
einer windgeschützten Kuhle aus sah sie Vogt zu, wie er die letzten zweihundert
Meter zur Scharte zurücklegte, und bewunderte seine Rüstigkeit. Er war
mindestens zehn Jahre älter als sie, aber unglaublich zäh.
    Während er über Funk Hilfe anforderte, winkte er ihr von oben zu.
Zwischendurch suchte er mit dem Feldstecher immer wieder die Lainkarroute ab,
um nicht noch im letzten Moment unangenehm überrascht zu werden. Schließlich
kam er wieder herunter.
    »Ich hab das LGK in Salzburg und die
Flugambulanz benachrichtigen lassen. Der Hubschrauber wird bald hier sein.«
    Sie atmete auf. »Gott sei Dank. Hoffentlich kommt er rechtzeitig.«
    »Keine Angst. Die Burschen haben keinen blassen Schimmer, wohin wir
uns verdrückt haben, sonst wären sie längst da. Und sollten sie wider Erwarten
doch hierherfinden, bemerken wir sie schon von Weitem. Dann möchte ich sehen,
wie sie es anstellen, uns zu kassieren.«
    Er hob den Saum seiner Windjacke, und Sarah Feldbach sah den
Pistolengriff aus dem Schulterhalfter ragen. Der Anblick hätte sie beruhigen
sollen, doch sie fühlte sich nur unangenehm berührt. Gewaltbereitschaft wirkte
auf sie wie ein Schlüsselreiz und löste selbst dann Angst aus, wenn die Gewalt
zu ihrer Verteidigung angewendet werden sollte.
    »Woher kannten Sie eigentlich meinen Namen, Herr Vogt?« Noch während
sie sprach, wurde ihr bewusst, dass sie Rolf dieselbe Frage gestellt hatte.
    Der Gletscherwind fuhr Vogt durchs dichte weiße Haar. Er setzte sich
neben sie zwischen die schützenden Felsen.
    »Ich kenne Sie schon seit Tagen, Frau Feldbach. Aber es ist wohl
besser, ich fange dort an, wo man eine Geschichte immer anfangen soll: nämlich
am Anfang.«
    Während sie auf den Helikopter warteten, berichtete er ihr von
Ereignissen, deren Authentizität sie aufs Heftigste bezweifelt hätte, wäre ihr
an diesem Morgen nicht ähnlich Unglaubliches widerfahren. Fasziniert
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