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Herbstfrost

Herbstfrost

Titel: Herbstfrost
Autoren: Georg Gracher
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blieben somit state of common , und man nahm sie uns ab – wenn auch mit
Vorbehalt. So war es möglich, das tatsächliche Ausmaß des Verbrechens auf eine
verkraftbare Dimension schrumpfen zu lassen, und bald darauf verdrängten andere
Dinge die Sökos aus dem kollektiven Bewusstsein, etwa die ambivalent
empfundenen Folgen des EU -Beitritts Österreichs
oder die ständigen Umwälzungen im ehemaligen Ostblock oder auch die Vorgänge in
den benachbarten Balkanländern.«
    »Vielleicht hättet ihr doch die authentische Zahl nennen sollen«,
monierte Nadine. »So fand nur eine Verdrängung statt, keine Bewältigung.«
    Weider wiegte zweifelnd den Kopf. »Eine so monströse Zahl wäre erst
recht angezweifelt worden und hätte den Verdrängungseffekt nur verstärkt.«
    »Ich denke auch, dass die Wahrheit zumutbar gewesen wäre«, stellte
sich Alex auf Nadines Seite. »Selbst dann, wenn sie – wie Max Frisch den
›Eisenring‹ sagen lässt – komischerweise niemand glaubt.«
    »Aber wer kennt schon die Wahrheit? Ich meine, die ganze Wahrheit?«, konterte Weider. »Wir wissen ja nicht
einmal, ob Sorges Datei vollständig war. Die vermerkten Fälle wurden in
jahrelanger Arbeit aufgerollt, in den wenigsten konnte nach so langer Zeit ein
Gewaltverbrechen nachgewiesen werden. Im Umkehrschluss wäre also auch eine noch
höhere Anzahl an Opfern denkbar.«
    »Und wie urteilten die Gerichte?«, fragte Nadine.
    »Ein Geheimtribunal erkannte Sorges Geständnis und seine
Aufzeichnungen als Beweise an. Eine Verantwortlichkeit von der AIC wurde allerdings nicht bestätigt. Die Taten seien
von Einzelpersonen aus privaten Interessen begangen worden, damit wären also
auch eventuelle Entschädigungsforderungen abgewiesen worden, hätten die
Verhandlungen nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden.«
    »Du meinst, auch wenn man die Angehörigen der Opfer nicht in Ahnungslosigkeit belassen hätte«, präzisierte sie.
»Aber was war mit der Buchhaltung? Anhand der Zahlen mussten sich die
Verbrechen doch rekonstruieren lassen?«
    »Wieder ein Trugschluss. So wenig greifbar die Sökos selbst lange
Zeit gewesen waren, so wenig greifbar waren die Einsparungen, die ihre Morde
für die AIC bewirkt hatten. Schließlich reden wir
hier von virtuellen Größen. Die Prüfer konnten einzig und allein den
sogenannten Ausgleichsfond aufspüren, über den Nilson den Killern Prämien
zukommen hatte lassen. Daran und an der Täter-Opfer-Zuordnung auf der Diskette
ließen sich einige der Morde festmachen. Als Empfänger der Prämien waren
verstorbene AIC -Kunden angegeben. Jede Auszahlung
war von Sorge gegengezeichnet worden. Wie hätte da ein Dritter jemals Verdacht
schöpfen sollen?
    Ohne Diskette, ohne Sorges Amoklauf und Geständnis wäre es kaum
jemals gelungen, juristisch haltbare Beweise beizubringen. In Panik ist Sorge
nur wegen Piritz’ Aktionen geraten, andernfalls hätte er wohl eine Mauer von
Anwälten um sich errichtet und in aller Ruhe seine Flucht vorbereitet.«
    »Du hast gesagt, Sorge und Nilson hätten ihre Geheimnisse mit ins
Grab genommen«, erinnerte ihn Nadine. »Wann ist Sorge denn nun definitiv
gestorben?«
    »Wie von den Ärzten angekündigt: noch in jener Nacht. Ging ganz
schnell. Millionen Menschen, die nie einer Fliege was zuleide getan haben,
müssen oft elendig zugrunde gehen, doch Ungeheuer wie Sorge vertschüssen sich,
von moderner Medizin schmerzfrei gestellt, so rasch und glatt, als hätte ihnen
jemand einfach den Stecker rausgezogen.«
    »Und was war mit der Talbusch, der Geschäftsführerin vom
›Paris-Lodron-Club‹?«, wollte Alex wissen. »Von der war bisher kaum die Rede.
Habt ihr sie erwischt?«
    Weiders Lippen verzogen sich zu einer leidvollen Grimasse. »Nein.
Vermutlich verfügte sie über falsche Pässe und tauchte in der Karibik unter.
Hat ihre Spuren jedenfalls so clever verwischt, dass wir sie bis heute nicht
gefunden haben.«
    »Na ja, es rennen ja auch noch andere Massenmörder frei herum«,
tröstete ihn Nadine. »Da kommt’s auf einen mehr oder weniger wohl nicht an.
Hauptsache, euch ist nichts passiert.«
    Doch Alex’ Neugierde war noch nicht gestillt. »Und Waschhüttl und
Kleiber? Welche Folgen hatte der Fall für sie?«
    Weider setzte ein säuerliches Grinsen auf. »Dreimal dürft ihr
raten.«
    »Da muss ich nicht raten«, sagte Nadine verächtlich. »Das weiß ich.
Waschhüttl ist nach Linz versetzt worden, durchaus nicht zu seinem Nachteil. An
meinem achten Geburtstag wurde sein
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