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Hera Lind

Hera Lind

Titel: Hera Lind
Autoren: Männer sind wie Schuhe
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Schwule?«
    »Was sind Gröstl?«
    »Na, so eine Art Bratkartoffeln mit Speck.«
    »Und für die müssen wir so rennen?«
    »Wir wollen doch noch einen guten Platz bekommen, oder?«
    »Der frühe Vogel fängt den Wurm!«, sagte Caspar zu den Kindern, als könnte er Gedanken lesen.
    »Ich hab Seitenstiche!«
    Kurzerhand setzte sich Caspar Luna auf die Schultern, und ich nahm Stella huckepack. Mit Paulchen lief ich um die Wette. Ich mobilisierte ungeahnte Kräfte, als befände ich mich auf den letzten Kilometern eines Marathons. Auf halber Strecke gab es einen Brunnen. Kaltes Wasser plätscherte in einen Holztrog. Die Kinder erfrischten sich. Ich zwang mich, ihnen die Pause zu gönnen. Meine Beine waren wie aus Watte, gleichzeitig fühlte ich mich so leicht, als könnte ich fliegen.
    »Hier gibt’s auch keine Schwulen!«, sagte Caspar enttäuscht.
    »Der Berg der Entbehrungen«, verkündete ich ungeduldig.
    Wir stiegen weiter bergan. Rennen ging nun beim besten Willen nicht mehr, nur keuchen.
    »Gleich kommen Hänsel und Gretel vorbei!«, spornte ich die Kinder an. Morgen würden wir alle Muskelkater haben. Und ich Katzenjammer. Morgen würde ich endgültig begreifen, dass man sich keine törichten Illusionen machen darf. »Gib ihr Zeit zum Nachdenken!«, hatte Jürgen alle beschworen. »Sie kommt zurück, spätestens wenn die Schule anfängt.« Bald würde ich aufgeben müssen, weil ich kein Geld mehr hatte, um uns alle über Wasser zu halten. Dann würde ich soooo kleine Brötchen backen, genau wie Oma Margot es mir prophezeit hatte. »Der Zustand, in dem nichts mehr zu erwarten ist …«, hatte Opa Dietrich einmal gesagt, »… ist ein Zustand der Gnade. Aber noch wollte ich nicht an morgen denken, daran, dass das Leben keine Sonderbehandlung für mich parat hielt.
    »Mama, wann sind wir endlich da?« Paulchen hieb frustriert mit einem Stock auf einen Baum ein, während Luna und Stella stehen blieben, um nach Hänsel und Gretel Ausschau zu halten.
    »Nur noch zwanzig Meter!«, keuchte ich und sah mich prüfend um. »Du müsstest das Dach vom Franziskischlössl schon sehen können.«
    »Ich seh kein Dach und kein Schlössl«, maulte Paulchen. »Ich habe Hunger!«
    Im Februar hatte man das Dach von hier aus durch die kahlen Zweige schimmern sehen. Jetzt sah man nur ein grünes, lichtdurchflutetes Blätterdach.
    Aber hier war er gewesen, unser Baum.
    Ich blieb stehen. Kniff die Augen zusammen. Ja, hier war die Stelle.
    »Mama? Was soll das? Erst hetzt du uns so, und dann stehst du hier in der Gegend rum.«
    Der Baum befand sich genau dort, wo ich ihn vermutet hatte. Besser gesagt, die zwei Bäume, die sich zu einer üppigen Krone vereint hatten. Eine Gänsehaut überzog mich. Ich trat näher. Da waren unsere Initialen. LT auf dem rechten und CM auf dem linken Stamm.
    »Mama? Ist alles in Ordnung?«
    »Weinst du etwa?«
    »Nein. Quatsch.« Ich putzte mir hastig die Nase, schließlich kam da jemand. Auf dem Kapuzinerberg herrschte ein reges Kommen und Gehen. Späte Jogger versuchten sich noch hier, und weinselige Gestalten taumelten von oben herunter. Ich tastete nach dem Taschenmesser in meiner Jacke. Vielleicht würde ich gleich noch ein bisschen was dazuschnitzen. Ein Herz oder so. Ich warf einen verstohlenen Blick auf meine Uhr. Halb acht. Was bildete ich mir eigentlich ein? Selbst wenn Christian wirklich hier war, stand er jetzt im Frack in der Garderobe und spielte sich ein. Plötzlich fühlte ich mich so müde, dass ich mich am liebsten hingelegt hätte, um nie mehr aufzustehen.
    Eine athletische Männergestalt in Schwarz kämpfte sich den Weg zu uns herauf. Ich konnte sie nicht genau erkennen, weil mich die Sonne blendete und ich mir gerade die Tränen aus den Augen blinzelte. Mist, jetzt sah der mich hier auch noch flennen! Ich sank so würdevoll wie möglich auf eine Bank. Im Winter war sie wegen des festgefrorenen Altschnees gar nicht zu sehen gewesen. Doch sie stand genau vor unserem Baum.
    »Kinder, geht schon mal vor, ich will nur kurz einen Moment hier sitzen.«
    Und den Mann vorbeilassen. Der brauchte ja nicht zu sehen, dass ich hier sentimental wurde und über mein verpfuschtes Leben weinte. Ich wischte mir über die Augen.
    »Bestellt euch schon mal Gröstl. Und mir ein großes Bier.« Mit einer müden Handbewegung scheuchte ich sie weg.
    Caspar zog die Kinder weiter. Ich blieb allein zurück und schaute auf den Baum. Irgendwie hatte ich gehofft, bei ihm Rat zu finden. Zur Not taten es auch ein paar
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