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Henkerin

Titel: Henkerin
Autoren: Sabine Martin
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Waffe geschwungen und ein totes Schwein von oben bis unten gespalten. Mutter war puterrot geworden vor Wut und hatte dem Gatten ihrer Schwester alle Höllenqualen angedroht, wenn er solch einen Unfug noch einmal machen würde, aber Vater war ruhig geblieben. Er hatte Mutter auf die Seite genommen, gelächelt und leise mit ihr gesprochen. Sie hatte sich wohl durchgesetzt, denn Vater und Onkel waren danach einige Tage mürrisch und wortkarg durch die Gegend gelaufen. Vor zwei Jahren war das gewesen, und seitdem hatte sie nie wieder eine solche Waffe anfassen dürfen.
    »Wenn ich dich mit einem Schwert erwische, dann stecke ich dich ins Kloster! Haben wir uns verstanden?«, hatte Mutter ihr mit dem Zeigefinger vor der Nase prophezeit.
    Melisande hatte verstanden. Und sie hatte sich daran gehalten, denn Mutter pflegte ihre Drohungen wahr zu machen.
    Die Rüstung schepperte. Der Söldner hatte sich im Sattel umgedreht und spähte in die Ferne. Von weit hinten im Zug rief Vater, es sei alles bestens. Der Mann drehte sich wieder um und entdeckte Melisande, die unter der Plane hervorgekrabbelt war und die Gelegenheit nutzte, ihn mit Fragen zu bestürmen.
    »Wer seid Ihr? Ich habe Euch noch nie bei uns gesehen. Kommt Ihr von weit her? Seid Ihr so tapfer wie der edle Gawan? Habt Ihr schon viele Drachen getötet? Gibt es einen Krieger, den Ihr noch nicht herausgefordert habt?«
    Der Söldner verzog keine Miene. »Ich bin Siegfried von Rabenstein. Meine Heimat liegt vierzehn Tagesreisen von hier. Nein, ich habe noch keinen Drachen getötet, weil es keine Drachen gibt. Und Krieger gibt es so viele, die kann man nicht alle herausfordern, geschweige denn töten.«
    »Warum seid Ihr hier?«
    »Euer Vater hat es so gewünscht.«
    Melisande lehnte sich aus dem Karren, schaute nach vorn und nach hinten und zählte. Soweit sie sehen konnte, begleiteten zehn Berittene in voller Rüstung den Zug. So viele waren es noch nie gewesen. Außerdem liefen vorne und hinten noch jeweils zehn Lanzenträger, die sogar Schwerter an der Seite trugen. Der Weg war hier so eng, dass sie nur zu dritt nebeneinanderlaufen konnten, der dichte Wald erstreckte sich rechts und links über Meilen.
    Melisande bewunderte Ritter. Auch wenn ihr Bruder Rudger ihr erzählt hatte, dass es auch solche gab, an denen nichts Bewundernswertes war. Verarmte Raufbolde, die reisende Kaufleute und arme Pilger überfielen und töteten, um deren Habe an sich zu bringen.
    Rudger war drei Jahre älter als Melisande, gerade sechzehn geworden. Früher hatten sie gemeinsam auf dem Dachboden zwischen den Stoffballen gehockt, mit denen Vater handelte, und mit selbst geschnitzten Holzrittern gespielt, Strategien für Schlachten und Belagerungen ausgeheckt. Obwohl Rudger sie immer damit geneckt hatte, dass sie wohl ein Junge sei, der versehentlich als Mädchen auf die Welt gekommen war, hatte sie ihre Zeit am liebsten mit ihm verbracht. Inzwischen hatte er längst keine Muße mehr für solche Spiele, weil er von morgens bis abends dem Vater bei der Arbeit helfen musste. Manchmal waren die beiden auch wochenlang fort. Mit einem Händlertross auf Reisen. Was für wundersame Geschichten er jedes Mal bei seiner Rückkehr erzählte! In zwei oder drei Jahren sollte er eine Frau nehmen und mit ihr eine Niederlassung im hohen Norden leiten. Melisande wollte gar nicht daran denken. Rudger fort – furchtbar. Aber bis dahin dauerte es ja noch lange. Fast so lange wie diese langweilige Reise.
    Bevor sie Siegfried noch mehr Fragen stellen konnte, rief Beata sie zur Ordnung. »Melisande! Komm zurück unter die Plane. Es schickt sich nicht für ein Mädchen, einen Ritter auszufragen.«
    »Ja, Mutter.« Melisande fügte sich widerwillig und nahm ihren Platz auf der Truhe wieder ein.
***
    Rudger lenkte sein Pferd neben das seines Vaters. »Wir kommen bald in den Hohlweg. Das wäre der einzige Ort, an dem er zuschlagen könnte.«
    Konrad Wilhelmis nickte. »Es sei denn, er bietet zweihundert Berittene auf. Aber das kann sich sogar de Bruce nicht leisten.« Er schüttelte die rotbraunen Locken und lächelte. »Unsere Späher haben nichts entdeckt. Da oben ist niemand.« Er deutete mit seiner Hand auf die aufragenden Felsen vor ihnen.
    Rudger runzelte die Stirn. »Ich habe so ein seltsames Gefühl. So als ob ich etwas nicht sehen könnte, das dennoch da ist.«
    »Das ist die Angst vor der Gefahr.« Konrad legte ihm die Hand auf die Schulter. »Hier gibt es nichts, worum wir uns sorgen müssten, mein Sohn.
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