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Hell's Angels (German Edition)

Hell's Angels (German Edition)

Titel: Hell's Angels (German Edition)
Autoren: Hunter S. Thompson
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stand seit einer halben Stunde still hinten im Saal, schwitzte wie ein Schwein und beäugte den Geistlichen, als wollte er ihn später noch zur Strecke bringen und ihm sämtliche Zähne ziehen. Tinys Abgang brachte noch fünf, sechs andere dazu, zu gehen. Der Geistliche bekam mit, dass ihm das Publikum davonlief, und erzählte die Story über den Philippinen schnell zu Ende.
    Als die Leute schließlich hinausgingen, erklang keine Musik. Ich ging an dem Sarg vorbei und war erschüttert, als ich Mother Miles dort glatt rasiert, in blauem Anzug, weißem Hemd und mit einer breiten, kastanienbraunen Krawatte liegen sah. Seine Hell’s-Angels-Kutte, die mit exotischen Abzeichen gespickt war, hing am Fuße des Sargs an einem Ständer. Dahinter lagen dreizehn Kränze, einige mit den Namen anderer Outlaw-Clubs versehen.
    Ich erkannte Miles kaum wieder. Er sah jünger aus als 29 und ausgesprochen normal. Sein Gesicht strahlte Ruhe
aus, so als wäre er überhaupt nicht erstaunt darüber, sich da in einer Kiste wiederzufinden. Die Kleidung, die er trug, hätte ihm nicht gefallen, aber da nicht die Angels das Begräbnis bezahlten, konnten sie allenfalls dafür sorgen, dass seine Kutte mit in den Sarg kam, ehe der verschlossen wurde. Barger blieb mit den Sargträgern zurück, um darauf zu achten, dass alles seine Richtigkeit hatte.
    Nach dem Trauergottesdienst fuhren über zweihundert Motorräder dem Leichenwagen zum Friedhof hinterher. Hinter den Angels folgten die ganzen anderen Clubs, darunter auch ein halbes Dutzend East Bay Dragons – sowie, laut einem Radioreporter, »Dutzende jugendliche Motorradfahrer, die so traurig guckten, dass man hätte glauben können, Robin Hood sei gerade gestorben«.
    Die Hell’s Angels wussten es besser. Nicht alle hatten sie etwas über Robin Hood gelesen, aber ihnen war klar, dass dieser Vergleich schmeichelhaft war. Vielleicht glaubten die jüngeren Outlaws, bei denen noch Raum war für ein oder zwei tröstliche Illusionen, daran. Die fast dreißig oder schon drüber sind, leben schon viel zu lange mit ihrem niederträchtigen Image, um sich noch für Helden zu halten. Ihnen ist klar, dass die Helden immer »die Guten« sind, und sie haben genug Cowboyfilme gesehen, um zu wissen, dass die Guten am Ende immer siegen. Dieser Mythos galt anscheinend nicht für Miles, obwohl er doch »einer der Besten« gewesen war. Doch alles, was er am Ende bekam, waren zwei gebrochene Beine, ein gebrochener Schädel und eine Standpauke des Predigers. Einzig seine Identität als Hell’s Angel bewahrte ihn davor, so anonym wie irgendein kleiner Angestellter in die Grube zu fahren. So aber wurde im ganzen Land über seine Beerdigung berichtet: Life brachte ein Foto des Trauerzugs am Friedhofseingang, die Fernsehnachrichten brachten es
gleich zu Anfang und mit feierlichem Ernst, und die Schlagzeile des Chronicle lautete: HELL’S ANGELS TRAGEN EINEN DER IHREN ZU GRABE – SCHWARZE JACKEN UND EINE EIGENWILLIGE WÜRDE. Mother Miles hätte es gefallen.
    Gleich nach der Beisetzung wurde die Karawane von einer Phalanx aus Streifenwagen mit Sirenengeheul aus der Stadt eskortiert. Der kurze Waffenstillstand war beendet. An der Stadtgrenze gaben die Angels dann richtig Stoff und brausten zurück nach Richmond, auf der Westseite der San Francisco Bay, wo sie die ganze Nacht lang eine Totenwache abhielten, die die Polizei bis in die Morgenstunden nicht zur Ruhe kommen ließ. Am Sonntagabend fand in Oakland noch ein Treffen statt, auf dem Miles’ Nachfolger Big Al im Amt bestätigt werden sollte. Es war eine ruhige Veranstaltung, aber ganz ohne die Traurigkeit der Beerdigung. Das Heulen der Banshee, das am Donnerstag noch so laut erklungen war, verhallte bereits. Nach dem Treffen fand im Sinner’s Club eine Bierparty statt, und als die Kneipe schloss, hatte man sich schon auf das Datum des nächsten Runs geeinigt. Die Angels würden sich am ersten Frühlingstag in Bakersfield versammeln.

    Mein ganzes Leben schon sehnt sich mein Herz nach etwas, das ich nicht benennen kann. –
    Erinnerter Vers aus einem längst vergessenen Gedicht
    Monate später, als ich die Angels kaum noch sah, war mir immer noch das schwere Motorrad geblieben – zweihundert Kilo Chrom und dröhnender Motorenlärm, um damit
um drei Uhr nachts auf dem Küsten-Highway richtig Stoff zu geben, während die Polizisten alle auf dem Highway 101, im Hinterland, auf der Lauer lagen. Bei meinem ersten Sturz hatte die Maschine fast einen Totalschaden
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