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Heißer Schlaf

Heißer Schlaf

Titel: Heißer Schlaf
Autoren: Orson Scott Card
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zusammenleben. Aber ich kann nicht immer tun, was ich will. Weißt du, es gibt manches in meinen Gedanken, was die Jungen vielleicht verstanden hätten, wenn sie genug Zeit gehabt hätten. Dadurch wäre alles zerstört worden.«
    »Du meinst, sie können auch deine Gedanken lesen?«
    »Du kannst jetzt bei mir bleiben, Arran. Ich wünsche es.«
    Sie umarmte ihn und weinte. »Ich bin alt und häßlich«, rief sie, »und du bist noch jung. Du wirst immer jung sein! Ich habe bei dir mein Leben verloren!« Und er ließ sie weinen und sagte leise: »Wir verlieren alle Stück für Stück unser Leben, Arran. Das läßt sich nicht ändern.« Aber für einen flüchtigen Augenblick empfand er tiefe Traurigkeit um all das Leben, das auch er verloren hatte; er trauerte um Freunde, die alt geworden und gestorben waren, während er im Sarg schlief; um Freunde, deren Erinnerung von Somec ausgelöscht worden und deren Leben und Liebe verlorengegangen war; um die Kinder, an denen er sich nie wirklich hatte freuen können; um das Leben, das er nie hatte genießen können. »Gott zu sein«, sagte er, »ist verdammt der schlimmste Job im ganzen Universum.«
    Dann führte er Arran an einen Sarg in der jetzt leeren Röhre B und schläferte sie ein. Er versiegelte die Röhre sorgfältig und inspizierte alles gründlich, um sich zu vergewissern, daß alle Bestandteile die Zeit gut überdauert hatten. Dann ging er durch das ganze Schiff und richtete es her, als ob er zum Raumflug starten wollte. An der Beschädigung des Schiffs war nichts zu ändern, aber die inneren Kammern widerstanden dem Druck genauso gut wie die äußere Oberfläche.
    Als er sich von dem zufriedenstellenden Zustand des Raumschiffs überzeugt hatte, setzte er sich in die Pilotenkabine und ließ den gewaltigen Apparat sanft abheben. Er verharrte bei Nullbeschleunigung, so daß sich durch die Rotation die Oberfläche des Planeten unter ihm wegdrehte. Bald verschwand das Land im Osten, und er befand sich über dem Meer. Er flog dann nach Süden, weit vom Festland entfernt und ließ das Raumschiff langsam auf die Oberfläche des Ozeans hinabsinken. Der Kontakt mit der Wasseroberfläche war kaum zu spüren, und das Schiff tauchte unter. Die Konstruktion war stabil genug, den Druck auf dem Meeresboden auszuhalten. Jason wußte, daß das Schiff für weit schlimmere Bedingungen konstruiert war; daß das Metall vielleicht nicht einmal in tausend Jahren korrodieren würde; daß die Computer des Schiffs auch dann noch funktionieren würden; daß der Antrieb das Schiff auch dann noch wieder an die Oberfläche bringen würde.
    Er schrieb eine Botschaft auf und legte sie auf die Steuerkonsole, sprach dieselbe Botschaft in das Logbuch des Schiffs und gab sie in den Computer ein, so daß jeder Kontakt mit dem Computer sie auf dem Bildschirm erscheinen lassen würde. Dann ging er zu seinem Sarg, legte sich hinein und setzte sich den Schlafhelm auf. Er wartete darauf, daß sein Gedächtnis aufgezeichnet würde. Seine Arbeit war getan.
    Und aus einem Grund, den er selbst nicht kannte, fing Jason in seinem Sarg leise an zu weinen. Er weinte immer noch, als die Nadel in seine Kopfhaut eindrang, das Somec ihm in die Adern schoß und die Qual eines weiteren tausendjährigen Schlafes begann …
    Das Schiff lag auf dem Grund. Die Geschöpfe des Meeres krochen an seiner Oberfläche entlang oder richteten sich in der Röhre A, in die das Wasser eingedrungen war, häuslich ein. Etwa alle fünfzig Jahre wachte das Schiff plötzlich auf. Von einem Ende des Schiffs zum anderen gingen die Lichter an und aus. Der Antrieb schaltete sich ein und tötete Millionen von winzigen Pflanzen und Tieren. Und dann versank das Schiff wieder in seinen Schlaf.
    Und jedes Mal, wenn das geschah, leuchtete eine ganze Minute lang die Botschaft auf dem Bildschirm auf:
    »Ich bin Jason Worthing. Überlegt es euch gut, bevor ihr mich weckt. Wenn mein Werk mißlungen ist, will ich es nicht wissen. Und wenn es geglückt ist, aber den Menschen nicht geholfen hat, möchte ich lieber weiterschlafen. Mein Traum von der Zukunft bedeutet mir zuviel, als daß ich ihn durch die Wirklichkeit zerstören lassen möchte.«
    Die Tiefseefische, die sich mit ihren Leuchtorganen die Dunkelheit erhellten, schossen in der aufgerissenen äußeren Hülle des Raumschiffs hin und her. Für sie war es nur ein weiterer Felsen, der ihnen für kurze Zeit Schutz vor dem Tod bot, der überall in der Nacht lauerte.

    Ende
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