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Heiraten für Turnschuhträgerinnen

Heiraten für Turnschuhträgerinnen

Titel: Heiraten für Turnschuhträgerinnen
Autoren: Filippa Bluhm
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Internet – immerhin.
    Er grinst stolz und nimmt meine Hand. »Bist du dann so weit?«
    Ich nicke entschlossen, aber als wir uns dem Kirchenportal zuwenden, wird mir so schwindelig, dass ich mich voll darauf konzentrieren muss, auf den hohen Absätzen nicht umzuknicken. An meinem Brautstrauß kann ich mich nicht festhalten, denn die Floristin hatte keine Zeit mehr, die Dornen der weißen Rosen zu entfernen. Na gut, ich will nicht klagen, immerhin hatte sie überhaupt Rosen. Der Rest des Angebots bestand aus Kränzen, Efeuranken, weißen Lilien und einem kleinen Sortiment an Grabblumen und -lichtern, denn das Blumengeschäft, das uns Frau Kronfeld von Bismarck empfohlen hatte, war die örtliche Friedhofs-Gärtnerei. Ich kann von Glück sagen, dass die vier alten Frauen mit schwarzen Kopftüchern, die eigentlich vor mir dran gewesen wären, mich lächelnd vorgelassen haben. »Nu geh nur, Kindchen, wir haben doch Zeit.«
    Das war sehr nett, denn die, die den Satz gesagt hat, war mindestens hundert Jahre alt.
    Ich versuche also, den Strauß so zu greifen, dass er mir keine Löcher ins Kleid reißt. Papa nimmt die Sonnenbrille ab und zwinkert mir mit dem intakten Auge zu, und schon in der nächsten Sekunde dröhnen die ersten Takte des Hochzeitsmarschs durch die Kirchentür. Meine Knie werden noch weicher, und ich bin heilfroh, als mir mein Vater seinen Arm zum Unterhaken reicht.
    Los geht’s.

    O Gott. Es ist so, als sei mir schwarz vor Augen, nur, dass ich alles sehe. Mein Gehirn hat sich komplett ausgeschaltet. Ich bemerke zwar, dass die Bankreihen, durch die ich schreite, voller Menschen sind, aber erkennen kann ich niemanden. Es sind keine Gesichter, die sich umdrehen und mich gerührt anlächeln, es sind nur Augen und Münder. Ich nehme kaum wahr, was um mich herum passiert. Ich nehme kaum wahr, was mit mir selbst passiert. Ich spüre nichts, nicht einmal meine Schuhe, spüre nur mein Herz, das mir so kräftig bis zur Kehle schlägt, dass ich wahrscheinlich durch die Kirche hüpfen würde wie ein Gummiball, wäre da nicht Papa, der mich am Arm hält.
    Da vorne steht Georg, ganz allein am Ende des Ganges, und lächelt mir nervös entgegen. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie ich es bislang absolut glaubwürdig finden konnte, wenn in romantischen Komödien die Braut in einer gefühlsduseligen Glückstrance zum Altar schwebt, wo schon ein strahlender Bräutigam wartet, gelassen und verliebt. Ich wäre nur halb so aufgeregt, müsste ich bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in einer ausverkauftenLeichtathletik-Arena ein A-cappella-Solo schmettern, und wenn ich eines noch schlechter kann als in hohen Schuhen gehen, dann ist das singen. Georg sieht aus, als würde es ihm nicht anders gehen. Wenn ich meine Beine noch unter Kontrolle hätte, würde ich einfach zu ihm nach vorne rennen, »Ja, ich will« rufen, ihm den Ring anstecken und zusehen, dass wir hier rauskommen und mit dem Sektempfang beginnen.
    Aber ich stakse ihm nur entgegen, viel zu langsam.
    Das Nächste, was ich mitkriege, ist, dass mir mein Vater einen Kuss aufs Haar drückt und Georg meine Hand nimmt. Ich sehe ihm in die Augen und will eigentlich lächeln, aber alles, was ich hinkriege, ist ein hektisches Zucken in den Mundwinkeln. Mein ganzer Sprechapparat ist dermaßen außer Kontrolle, dass ich mich frage, wie ich gleich das Wort »ja« über die Lippen bringen soll.
    Die Standesbeamtin sagt etwas und deutet auf die beiden freien Stühle. Unsere Trauzeugen sitzen schon, Christian ein bisschen zurückgesetzt neben Georgs Platz, Lala neben meinem. Sie strahlt, ich glaube, ich habe sie noch nie so ernst und froh und glücklich gesehen. Ich nicke ihr zu und versuche noch einmal die Sache mit dem Lächeln. Georg und ich setzen uns, und ich habe endlich die Gelegenheit, einen verstohlenen Blick ins Publikum zu werfen.
    Vorne in der ersten Reihe sitzen nebeneinander unsere Mütter. Sie haben ganz rote Augen und halten sich an den Händen. Sie werden flankiert von unseren Vätern, die beide nervös auf ihren Plätzen herumrutschen, dabei aber ein Gesicht machen, als würden sie gleich einen technischen Vortrag anhören. Die Reihe dahinter besetzen die Polen, an die ich mich nur grob erinnern kann, die mich aber alle anstrahlen, als wäre ich gerade Papst geworden, stolz, ergriffen und glücklich. Andrzej drückt Olga fest an sich.Dahinter sitzt Tante Waltraud, schwer atmend unter ihrem rauschenden pinken Sari, neben ihr Onkel Albert, dessen Blick
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