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Heiraten für Turnschuhträgerinnen

Heiraten für Turnschuhträgerinnen

Titel: Heiraten für Turnschuhträgerinnen
Autoren: Filippa Bluhm
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der Kirche!«, rufen wir ihnen zu. »Fahrt schon mal los!«
    »Wo ist dein Vater?«, ruft meine Mutter. »Er ist verschwunden! Weg! Vom Erdboden verschluckt!«
    Ich bremse ab. Von hinten holt mich ein: eine plötzliche Ahnung.
    »Er … wollte sich vorhin noch mal ins Auto setzen«, sage ich zögernd und blicke hinüber zu der Stelle, wo der Wagen steht. Ich bin mir ganz sicher, dass sie vorhin noch im Schatten lag. Jetzt knallt die Sonne darauf. O weh. Ich laufe los, sehe meinen Vater schon von Weitem, beziehungsweise: Ich sehe seinen Hinterkopf, der an der Seitenscheibe lehnt.
    »Papa!« Panisch klopfe ich ans Fenster. Ich habe in meinem Leben zu viel Zeit mit Mikrowellen verbracht, um in diesem Moment nicht panisch zu sein. Papa fährt hoch, dreht sich verwirrt um, sein Kopf ist dunkelrot, sein blaues Auge dunkellila, und ihm läuft der Schweiß in Sturzbächen übers Gesicht. Aber immerhin: Er lebt.
    »Maciej, wir müssen zur Kirche!«, ruft meine Mutter, die mir gefolgt ist, sie nennt ihn immer so, wenn sie besorgt ist, es ist die polnische Version von Matthias.
    Als mein Vater die Tür aufmacht, ist es, als würde man einen Backofen öffnen, bei dem die Umluft-Funktion angestellt ist. Ungefähr 180 Grad schlagen mir entgegen, die heiße Luft riecht wie ein altes Schnapsfass. Papa torkelt aus dem Wagen und fällt um ein Haar wieder hin.
    »Ich glaube, ich habe einen Hitzschlag«, sagt er.
    »Maciej, was ist denn mit deinem Gesicht passiert!«
    »Kleiner Unfall gestern Nacht«, antworte ich für ihn und sehe sie mit flehenden Augen an. »Kümmerst du dich um ihn? Schaffst du das? Wir müssen noch schnell was besorgen!«
    »Nie martw sie˛« , sagt sie und sieht mich liebevoll an. »Keine Sorge, Kleines. Er wird rechtzeitig vor der Kirche stehen.« Ich nehme sie in den Arm und drücke sie, neben uns wartet schon der Kombi mit laufendem Motor.
    »Lotte, wir müssen los!«
    Im Rückspiegel sehe ich noch, wie Mama Link und Mama Michalski meinen Vater gemeinsam von beiden Seiten stützen und auf sein Zimmer bringen. Meine Mutter hat ihre Methoden, meinen Vater in Windeseile zum Aufbruch zu bewegen, eigentlich wendet sie sie jeden Samstag an, wenn sie um zwanzig Uhr mit Freunden verabredet sind, die Sportschau aber bis 19:55 Uhr geht.

[Menü]
    Noch fünf Minuten …
    Wir sehen Georg nach, wie er durch das Eingangsportal schlüpft und in der Kirche verschwindet. Unsere Gäste sind alle schon drin, Papa und ich warten nur noch darauf, dass die Orgel zu spielen beginnt. Irgendwo im Hintergrund bauen ein paar Mitarbeiter von Klein Schönhagen bereits Stehtische für den Sektempfang nach der Trauung auf; in einer halben Stunde ist alles vorbei, dann werden wir hier lachen und trinken – auch, wenn es mir in diesem Moment noch so vorkommt, als sei es noch eine halbe Ewigkeit bis dahin. Die Sonne strahlt, trotzdem friere ich ein bisschen. Ich versuche, mir die Gänsehaut an den Armen wegzurubbeln, und sehe meinen Vater an. Er lächelt, was sich in erster Linie dadurch bemerkbar macht, dass sich die Pflaster in seinem Gesicht wie Eisschollen in verschiedene Richtungen schieben.
    »Ach so«, sagt er beiläufig und fummelt in seiner Jacketttasche herum. »Deine Freundin Kristin hat mir gerade noch etwas für dich gegeben.« Er zieht ein paar Ohrringe hervor, kleine Stecker mit silbergefassten blauen Steinchen. Ich nehme sie in die Hand und beäuge sie kritisch. »Sie sagt, sie hat sie frisch desinfiziert.«
    »Was soll ich damit?«, murmle ich, denn ich habe keine Ahnung, was ich kurz vor der Trauung noch mit Ohrringen anfangen soll. Ich habe keine mehr getragen, seit Tyler Brulée in irgendeinem Interview Ohrringe einmal zu girlish fand.
    »Etwas Blaues«, sagt er. »Sie meinte, ihr hättet neulich telefoniert, und du hättest gesagt …«
    Ich starre die Ohrringe an und muss grinsen. Ausgerechnet Kristin, die große Anti-Traditionalistin! O Gott, bin ich froh, dass sie endlich einmal verliebt ist!
    Blitzschnell überschlage ich im Kopf: Ich habe etwas Neues – das Kleid. Etwas Geliehenes – die Schuhe. Etwas Gebrauchtes – na ja. Ich hoffe, meine Unterhose gilt. Ich stecke mir die Ohrringe an, und anders, als ich einen Moment lang befürchtet hatte, sind meine Löcher noch nicht zugewachsen.
    »Sieht hübsch aus«, sagt Papa.
    »Dein Anzug ist auch nicht schlecht«, gebe ich zu. Er ist es tatsächlich nicht. Gut, er ist auch nicht wirklich schick . Aber das sind seine Anzüge eigentlich nie. Und für einen aus dem
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