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Heimstrasse 52

Heimstrasse 52

Titel: Heimstrasse 52
Autoren: Selim Oezdogan
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finden, nein, nein, er möchte seiner Frau nicht einen Schlafplatz verweigern, wie käme er dazu, er braucht nur noch ein wenig mehr Zeit.
    Er möchte sie nicht dort haben, das kränkt Gül, wie sollte es auch anders sein. Aber welche Möglichkeit hat sie sonst? Soll sie nach Istanbul? Sich scheiden lassen und auf Unterhalt hoffen? Auf Sibel? Auf Gott? Auf ihre Töchter? In Deutschland wird sie nicht verhungern und niemandem zur Last fallen.
    |280| Die Ablehnung schmerzt sie, egal, was in all den Jahren zwischen den beiden war, jede Ablehnung schmerzt, doch sie ist entschlossen, seit dem Ende des Frühlings ist sie schon entschlossen.
    Ihr Vater ist der Erste in der Türkei, dem sie ihren Entschluss mitteilt. Sie sind beim Mittagessen, es gibt einen Auberginenauflauf, dazu Reis und Joghurt, und der Schmied isst über seinen Teller gebeugt und merkt nicht, dass seine Tochter nervös ist.
    – Ich habe mich entschieden, sagt Gül, ich werde zurück nach Deutschland gehen.
    Ihr fällt das Mittagessen ein, bei dem ihr Vater geweint hatte, grüne Bohnen und Hack gab es da, es war Herbst, und Gül hatte ihrem Vater, den die vergangene Trennung noch schmerzte, versprochen, für immer zu bleiben.
    Der Schmied kaut weiter, ohne aufzusehen, und Gül fragt sich, ob er sie möglicherweise nicht gehört hat. Oder ob er Tränen verbergen möchte. Und wie oft sie schon ihr Wort gebrochen hat.
    – Weißt du noch, sagt er dann leise, dieser Tag, an dem es grüne Bohnen gab …
    Gül nickt, und der Schmied schluckt, richtet sich auf und lehnt sich zurück.
    – Da habe ich schon gedacht, dass wir wieder getrennt werden. Frag mich nicht, warum, ich bin kein Hellseher, und ich habe auch keine Ahnungen, aber damals habe ich gespürt, dass du nicht für immer hier bist. Und dass Fuat nicht zurück möchte, habe ich schon gemerkt, als er mir dieses Haus gezeigt hat.
    Er lächelt seine Tochter an.
    – Wir haben uns ein paar Jahre lang gesehen, wir sollten glücklich darüber sein.
    – Ja, bestätigt Gül erleichtert, ja. Und dieses Mal werde ich dich nach Deutschland holen, damit du sehen kannst, wie es |281| dort ist, damit du nicht mehr mit einer Stimme aus dem Jenseits telefonieren musst.
    Wie kann ich so vollmundig so etwas versprechen, wie kann ich ihm etwas für seine Zukunft versprechen, wenn ich meine nicht mal klar sehen kann?, fragt sie sich. Warum habe ich das gesagt?
    – Fahr erst mal hin und richte dich ein, sagt Timur, mach es dir behaglich. Freu dich an deinen Enkeln. Und wenn Gott mir noch genug Zeit gibt, dann werde ich kommen und es mir mal ansehen, dieses Deutschland. Wann soll die Reise denn losgehen?
    – So bald wie möglich. Ceyda kümmert sich um die Papiere. Das geht ja alles nicht von jetzt auf gleich, es wird schon einige Monate dauern.
    – Und dieses Haus hier?
    – Ich weiß nicht, ob Fuat es wieder vermieten möchte.
    – An jemanden, der beim Auszug auch die Türen mitnimmt. Gül ist erstaunt, dass ihr Vater die Sache so leicht zu nehmen scheint.
    – Jetzt weiß ich ja schon, was auf mich zukommt, sagt der Schmied, Schmerzen, die man kennt, kann man besser ertragen.
    An Ceren muss Gül einen Brief schreiben, es ist nicht der erste Brief, den sie an ihre Tochter schreibt, seit diese in Erzurum wohnt, aber es ist der längste und schwerste, in dem sie versucht zu erklären, warum sie Ceren abermals allein in diesem Land zurücklassen wird.
    Und Ceren antwortet: Mama, damals hast du mich gefragt, ob ich mitkommen möchte in die Türkei, und ich habe ja gesagt, und hätte ich heute nicht einen Mann, würde ich wieder mitkommen. Du wirst schon das Richtige tun. Um uns mach dir keine Sorgen, was soll mir passieren mit einem Mann wie Mecnun an meiner Seite? Er freut sich so, dass er bald Vater wird.
    |282| Melikes erste Reaktion hingegen, als sie die Nachricht am Telefon hört, ist:
    – Dann werdet ihr ja bald wieder mehr Geld verdienen.
    Als sei es das, was zählt, als wäre es für Gül jemals darum gegangen. Melike und Mert haben sich ein Auto gekauft, eines, mit dem man bei den Nachbarn nicht viel Eindruck schinden kann, aber immerhin ein Auto, eines, das man nicht Schrottkarre nennen kann.
    Sibel hingegen bricht in Tränen aus, als sie erfährt, dass ihre Schwester wegziehen wird, sie weint fast so herzzerreißend wie Ceren damals am Fuß der Treppe.
    Mit dieser Heftigkeit hat Gül nicht gerechnet und kann Sibel auch nicht trösten, die Schwestern liegen sich in den Armen, und obwohl es noch nicht so weit
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