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Heimliche Wuensche

Titel: Heimliche Wuensche
Autoren: Jude Deveraux
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aussehen wie nur irgend möglich.«
    Nellie verspeiste nun vier weitere Pralinen.
    In diesem Augenblick wurde kurz an die Tür geklopft, und Anna, die einzige Bedienstete im Haus der Graysons, trat ins Zimmer.
    Anna war jung und kräftig; aber auch schlau, und sie verwandte ihre beschränkte Intelligenz fast ausschließlich darauf, Mittel und Wege zu finden, sich vor der Arbeit zu drücken. Jedesmal, wenn Nellie sich beschwerte, daß Anna ihr nicht genügend im Haushalt hülfe, gab ihr Charles Grayson zur Antwort, er könne sich keine neue oder zweite Dienstmagd leisten und Nellie habe sich eben mit diesem Zustand abzufinden.
    »Er ist da«, sagte Anna, und dabei fielen ihr die Haare aus der Haube.
    »Wer?« fragte Terel.
    »Der Mann, der zum Dinner eingeladen ist. Er ist hier, aber Ihr Vater nicht.«
    »Na, so was!« schnaubte Terel. »Was denkt sich dieser Mann nur? Er ist eine Stunde zu früh gekommen, und ich bin noch nicht einmal angezogen. Und — Nellie, ist das Dinner schon fertig?«
    »Ja«, antwortete ihre ältere Schwester. Sie hatte den ganzen Nachmittag am Kochherd verbracht, und nun verdeckte ihre schmutzige Schürze ihr schmutziges braunes Hauskleid. »Anna, führen Sie ihn in den Salon und sagen Sie ihm, daß er warten soll, bis wir bereit sind, ihn zu empfangen.«
    »Nellie!« rief Terel entsetzt. »Du kannst doch einen Mann nicht eine Stunde lang allein im Salon sitzen lassen. Vater würde außer sich sein. Vater sagte, der Mann habe ihm das Leben gerettet, und nun versuchen sie, miteinander Geschäfte zu machen. Du kannst ihn nicht so behandeln.«
    »Terel, schau mich doch an. Ich komme gerade aus der Küche. So kann ich ihn unmöglich empfangen. Aber du siehst so schön aus — wie immer. Du gehst zu ihm, sobald ich . . .«
    »Ich?« fiel ihr Terel ins Wort. »Ich? Aber ich muß mich doch noch umziehen und mir die Haare richten. Nein, Nellie, du bist die ältere; du bist die Gastgeberin unseres Vaters. Du gehst hinunter und redest mit diesem Mann, und wenn ich mich angekleidet habe, kannst du dich umziehen. Das ist die einzig mögliche Verfahrensweise. Und was sollte ich denn überhaupt mit so einem alten Mann reden? Du kannst viel besser mit älteren Leuten umgehen als ich. Du kannst ihn zum Garnaufwickeln einspannen oder so etwas Ähnliches. Vater sagt, er sei Witwer; also kannst du dich vielleicht mit ihm über das Zubereiten von Marmelade unterhalten. So muß es sein, Nellie, und ich denke, du wirst mir recht geben, wenn du die Sache uneigennützig betrachtest.«
    Abermals wurde Nellie von einem fast unbezähmbaren Hungergefühl geplagt. Sie wußte, daß Terel recht hatte. Sie war die Gastgeberin für ihren Vater, und sie konnte in der Tat sehr gut mit Leuten umgehen, die so alt waren wie ihr Vater, während Terel in der Gesellschaft von älteren Menschen zum Gähnen neigte. Nellie mochte diesen Mann nicht vor den Kopf stoßen, da ihr Vater ihn dazu überreden wollte, sein Fuhrgeschäft zu leiten.
    »Sagen Sie ihm, ich käme so schnell wie möglich hinunter«, meinte sie nun, an Anna gewandt. Nellie wollte schon wieder das Zimmer verlassen, als Terel sie am Arm faßte.
    »Du bist mir doch nicht böse, nicht wahr?« sagte Terel, ihre Hände auf Nellies Schultern legend. »Es ist doch gar nicht wichtig, wie du aussiehst; weil jeder, dich mag. Sie würden dich auch mögen, wenn du so groß wärest wie ein Elefant. Aber ich muß immer gepflegt und schön aussehen. Bitte, Nellie, sei nicht böse mit mir. Ich könnte das nicht ertragen.«
    »Nein«, erwiderte Nellie mit einem Seufzer. »Ich bin dir nicht böse. Nimm dir Zeit beim Umziehen und mach dich hübsch. Ich werde mich inzwischen um den Gast unseres Vaters kümmern.«
    Terel lächelte und küßte Nellie auf die Wange. Als Nellie nun durch die Tür auf den Flur hinaus wollte, drückte Terel ihr noch die Pralinenschachtel in die Hand. »Vergiß mein Geschenk nicht.«
    Nellie nahm die Schachtel und stopfte sich draußen im Flur noch einmal sechs Pralinen in den Mund, ehe sie ihre Schürze abnahm und die Treppe zur Halle hinunterstieg.
    Terel blieb lächelnd in ihrem Zimmer zurück und ging zu ihrem Schrank. Was sollte sie nun also zum Dinner mit dem Gast ihres Vaters tragen? Als sie die Kleider betrachtete, fand sie den Gedanken, sich umzuziehen, auf einmal langweilig. Nellie hatte recht. Was sie anhatte, paßte ausgezeichnet für ein Dinner mit einem alten Mann — einem Mann, der nicht sie, sondern ihren Vater besuchen wollte. Was spielte es
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