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Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)

Titel: Heimlich, heimlich mich vergiss (German Edition)
Autoren: Angelika Meier
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»Wenn das so ist … was wird dann aus Ihnen?«
    Ich zucke die Achseln:
    »Das entscheidet die Klinikleitung. Sobald sie meinen Bericht bekommt.«
    »Ach, Gott sei Dank!« Er atmet auf und setzt sich dann auch die Brille wieder auf. »Dann hat ja alles seine Ordnung!«
    »Kommen Sie, Professor, es ist schon spät, ich bringe Sie zu Bett.«
    »Ach nein, bitte noch nicht! Es ist doch noch früh, kommen Sie, wir wollen uns noch ein wenig ins Gras setzen.«
    »Na schön, aber nur kurz, ja? Und dann werden Sie ohne Theater ins Bett gehen, verstanden?«
    »Jaja, ohne Theater, immer ohne Theater …«
    Er bahnt sich mit herabhängendem Kopf einen unsinnig geschlängelten Weg über die dunkle Holzbohlenterrasse, umrundet manchen Tisch zweimal, während ich geduldig am Rand der Terrasse auf ihn warte und ihn dann dort wie üblich an die Hand nehme, weil er den einen ersten Schritt von der Terrasse auf die Wiese hinunter nicht allein machen will. Sobald das geschafft ist, nimmt er Haltung an, die Hände in den Hosentaschen schlendert er mit weltmännisch zurückgebogenem Oberkörper und federnden Knien ein kleines Stück die steile Wiese hinab und lässt sich schließlich zufrieden stöhnend auf seinen Hosenboden nieder. So sitzen wir ein Weilchen schweigend nebeneinander im Gras, die Arme locker um die weitgeöffneten Knie gelegt, beide in dem gleichen hausüblichen Abendanzug, nur dass meiner deutlich besser sitzt, weil ich zwanzig Jahre jünger als er und auch sonst alles bin, was man sein muss, um einen Anzug anständig sitzen zu lassen, was von Vorteil ist, weil die meisten Menschen diese Eigenschaft noch immer mit einer schier unbegrenzten Menge von Kompetenzen und einem positiven Charakterbild verwechseln.
    »Werden Sie mich in Ihrem Eigenbericht erwähnen, Herr Doktor?«
    »Nein, warum sollte ich? Ich habe nur über mich selbst Rechenschaft abzulegen.«
    »Oh, könnten Sie das noch mal sagen, bitte?«
    Ich tue ihm den Gefallen, was ihn sichtlich beruhigt. Er nickt ein paarmal langsam und kräftig, um sich mit dieser Bewegung das Gehörte in sein limbisches System zu füllen, von wo aus es mit Hunderten von Schläuchen zur Löschung seiner Schwelängste in seinen ganzen Körper weitergeleitet wird. Während er das Löschwasser rinnen lässt, macht er kleine Zischgeräusche und grinst mich dabei doppeldeutig an. Er schämt sich seiner Obsession für seinen symbolischen Körper und ist zugleich mächtig stolz auf diesen Bilderwahn. Höchste Zeit, dieses abendliche Ritual abzubrechen:
    »Na, nun ist gut, jetzt halten Sie Ihr Wasser, Professor!«
    Aber da ist es schon geschehen, ich sehe es an seinem plötzlich gequälten Gesichtsausdruck, und zugleich sehe ich die fluchende Schwester vor mir, die ihm vor dem Zubettgehen wieder die vollgepinkelten Hosen wird ausziehen müssen. Ich klopfe ihm tröstend oder eher hinterhältig auf den Oberarm, um ihn an demselben sogleich hochzuziehen, aber er macht sich schwer und fängt an zu jammern:
    »Ach nein, bitte bitte, noch nicht ins Bett! Bitte bitte, noch nicht!«
    »Schluss jetzt, hoch mit …«
    »Werden Sie in Ihrem Bericht um Vergebung bitten?«
    »Schluss, verdammt noch …«
    »Nein, bitte, nur diese eine Frage beantworten! Werden Sie?«
    Stöhnend lasse ich ihn los und mich selbst zurück ins Gras sinken. Das Tal ist vollkommen in der Dunkelheit verschwunden, aber der Fliederduft ist bei uns geblieben und sinkt diskret neben uns in die nun nicht mehr nur für den Patienten feuchte Wiese.
    »Nein, ich denke nicht. Das wäre unanständig, scheint mir.«
    Patient nickt verständnisvoll, seine geistigen Kräfte sind plötzlich alle, wie immer, wenn er mit unfehlbarem Instinkt wittert, dass es auf seine Autorität ankommen könnte, loyal um ihn herum versammelt. Blick und Stimme sind vollkommen klar, nur von einem souverän dosierten Hauch Wehmut durchzogen:
    »Ja, das würde ich auch so sehen. Mal abgesehen davon, dass es sinnlos ist, ist es wohl tatsächlich auch unanständig oder zumindest unfein, die Sache so offen auszusprechen. Sehen Sie, ein kluger junger Kollege von mir hat einmal gesagt: Man bittet stets um Vergebung, wenn man schreibt . Wozu also noch drauf rumreiten, wie?«
    »Tja, ich weiß nicht, ob ich dem zustimmen würde, Herr Professor, aber in jedem Fall ist es wohl unfein. Kann ich Sie dann jetzt endlich ins Bett bringen?«
    »Ja natürlich, worauf warten wir noch? Ich bin schrecklich müde – ich weiß gar nicht, ob ich den Weg noch schaffe. Helfen Sie mir
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