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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
Autoren: Christoph Antweiler
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Erlebnisse mit den noch unvertrauten Menschen. Er fühlt sich ausgelaugt und lässt seine Gedanken baumeln beim Blick auf das schlammige Wasser des Flusses, der hier in die Malaiische See mündet. Nach einiger Zeit kommen zwei junge Malaien vorbeigeschlendert, etwas schüchtern, und setzen sich zu ihm. Er kennt die beiden, und eine zwanglose Unterhaltung beginnt. Sie reden, schweigen auch mal und rauchen eine kretek , die typische Nelkenzigarette, deren süßer Duft sie einhüllt. Das lockert auf und ist Standard im ganzen malaiischen Raum. Ein dritter junger Mann kommt dazu und setzt sich einige Schritte entfernt auf eine Leiter.
    Respekt zeigen
    Die Zeit fließt träge dahin an diesem tropischen Nachmittag. Es ist Siesta und der Weg wie ausgestorben. Brown wird es auf der harten Bank ungemütlich, und er setzt sich auf den Boden am Bürgersteig. Wie von Geisterhand folgen ihm seine drei Gäste auf dem Fuß. Sie haben das aber wohl kaum aus Bequemlichkeit getan. Brown kennt sich in der malaiischen Kultur schon etwas aus. Er weiß, dass es hier als unhöflich gilt, höher als eine andere Person zu sitzen, es sei denn, man hat einen deutlich höheren Rang.
    Als Ethnologe will Brown eine Beziehung auf Augenhöhe mit den Menschen. Er fordert die Jungen auf, doch bitte oben auf der Bank sitzen zu bleiben. Aber die wollen nicht: »Ach nein, das sieht nicht gut aus.« Brown versteht nicht: »Aber warum? Hier sieht uns doch niemand.« Es geht hin und her. Schließlich beendet einer der Jungen die Diskussion mit dem Argument: »Es könnten doch Leute jenseits des Flusses sehen, was hier abläuft.« Brown gibt sich geschlagen. Ihm wird klar, dass die Burschen nicht bloß störrisch sind. Sie wollen einfach nicht, dass er und sie dabei ertappt werden, wie sie eine Regel der lokalen Etikette verletzen.
    Mir kommt das sehr bekannt vor. Ich bin jedes Jahr in Indonesien, das auch zum malaiischen Kulturraum gehört. Wenn mich jemand in Deutschland nach der dortigen Etikette fragt, ist mein Standardbeispiel: »Du musst gebeugt gehen, wenn du nah an Leuten vorbeikommst, die sitzen.« Sonst fühlen sie sich nämlich schlecht. Das war eine der ersten Regeln, die ich in Indonesien gelernt habe, und sie gilt im Alltag genauso wie bei Festen und Feiern. Da will man zum Buffet, aber muss an anderen vorbei, die auf Stühlen oder am Boden sitzen und essen. Ich habe das so stark verinnerlicht, dass ich in solchen Situationen manchmal sogar in Deutschland »in die Knie gehe«. Genauso, wie es mir auch in Deutschland immer schwerfällt, anderen Leuten etwas mit der linken Hand zu übergeben. Das tut man in Indonesien, Malaysia und Brunei nicht, wie überall in islamischen Gegenden. Mit der linken Hand macht man etwas anderes…
    Wieder zu Hause in Kalifornien, darf Brown nach erfolgreicher Doktorarbeit an seiner Uni unterrichten. Aus seinem eigenen Studium weiß er, dass kulturelle Unterschiede als solche interessant sind. Der Vietnamkrieg ist gerade vorbei, und seine Studenten kritisieren vieles an der eigenen Gesellschaft. Viele haben die Geschichten von Carlos Castaneda über die ganz andere Lebenswelt der Indianer gelesen, mancher ist so zur Ethnologie gekommen. Clifford Geertz, der vor kurzem verstorbene Großmeister des Fachs, hat die Ethnologen einmal dazu aufgerufen, »mit der Exotik Handel zu treiben«. Tatsächlich ist die Darstellung kultureller Kontraste das Geheimnis der wenigen Bücher von Ethnologen, die das breite Publikum erreicht haben. Margaret Mead hat es so gemacht und Nigel Barley auch.
    Ein echter Bestseller ist bis heute Ruth Benedicts Patterns of Culture aus dem Jahr 1934. Benedict arbeitet die Kontraste zwischen Gesellschaften scharf heraus, indem sie männliche harte Kulturen und weibliche sanfte Kulturen einander gegenüberstellt. Wie ich selbst ist auch Donald Brown als Relativist in einer Ethnologie groß geworden, in der es als besondere wissenschaftliche Leistung galt, nachzuweisen, dass irgendetwas, das wir für selbstverständlich halten, nicht beim Volk der Bongo Bongo vorkommt. In Fachkreisen nennt man das »Bongo-Bongoismus«.
    Wenn Brown seinen Studenten kulturelle Unterschiede klarmachen will, erzählt er gern sein Erlebnis mit den drei Jungen in Brunei. Er ergänzt das mit ähnlichen Erfahrungen, die er während seines Jahres dort erlebt hat. Dann kann er seinen interessierten Studenten erklären, dass eben dies typisch für die Kultur der Malaien ist. Schon bei anderen Gruppen in der Nähe, auf den
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