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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
Autoren: Christoph Antweiler
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sapiens . Wir bilden eine Menschheit, und wir leben in einer Welt – trotz der Besonderheit jeder einzelnen Lebensform. Kulturen sind hochgradig komplex, und jede Gesellschaft ist einzigartig. Das befremdet und verstört uns immer wieder. Als Gesamtkunstwerke erscheinen Kulturen für einander schwer verständlich. Trotz aller Unterschiede können wir uns aber erstaunlich leicht mit Menschen aus wildfremden Kulturen verständigen. Über manche Witze wird überall gelacht. Bei Menschen unterschiedlichster Herkunft finden wir die gleichen Überzeugungen.
    In der Ethnologie wird um einige Hundert Universalien heftig gestritten. Welche Phänomene sind bloß weit verbreitet, welche gibt es wirklich überall? Die klassische Liste, die George Peter Murdock 1945 veröffentlichte, gibt einen guten Eindruck, um was es geht. Sie enthielt 73 Universalien, die er alphabetisch anordnete, um ihre Vielfalt zu zeigen. In deutscher Übersetzung (und damit anderer Reihenfolge) lauten sie:
    Abstillen, Alter als Organisationsprinzip, Arbeitsteilung, Begräbnisrituale, Behausungen, Besitz- und Eigentumsrechte, Besuche machen, dekorative Kunst, Demografie, Divination, Erbschaftsregeln, Erziehung, Eschatologie (religiöse Vollendungsvorstellungen), Essenszeiten, Ethik, Pflanzenkunde, Etikette, Familie, Feste und Feiern, Feuer machen, Folklore, Gastfreundschaft, Geburtshilfe, gemeinsame Arbeit, gesellschaftliche Ordnung, Gesetze, Gesten, Glaube an übernatürliche Wesen, Glücksvorstellungen, Grußformen, Haarstil, Handel, Heiratsformen, Hygiene, Inzesttabu, Kalender, Kochen, Körperschmuck, Körperscham, Kosmologie, Liebespartnerwerbung, Magie, Medizin, Musik, Mythologie, nachgeburtliche Versorgung, Nahrungstabus, operative Eingriffe, Personennamen, politische Führung, Pubertätsbräuche, religiöse Rituale, Sauberkeitserziehung, Schenken, Schwangerschaftsregeln, Seelenvorstellungen, sexuelle Beschränkungen, Spiele, Sport, Sprache, Standesunterschiede, Strafen, Tanz, Trauern, Traumdeutung, Verwandtschaftsbegriffe, Verwandtschaftsgruppen, Werkzeugherstellung, Wetterbeeinflussung, Witze, Wunderheilglaube und Zahlen.
    Murdocks Liste mag endlos erscheinen, nach heutigem Stand ist sie noch lange nicht vollständig. Der bodenständige, auf harte Fakten setzende amerikanische Ethnologe hatte 1937 die Kulturdatenbank Human Relations Area Files aus der Taufe gehoben, in der heute Daten zu 888 großen Themen für Hunderte von Kulturen zu finden sind. Detaillierte Register erschließen den Weg zu den zugrunde liegenden Forschungsberichten. Ursprünglich ging es Murdock darum, die kulturelle Vielfalt zuverlässig zu dokumentieren, erst nach und nach fielen ihm die vielen Gemeinsamkeiten auf. Und die sind alles andere als trivial. Ausgerechnet der Ödipuskomplex findet sich überall. Andere Phänomene, die man intuitiv für universal hält, sind es dagegen nicht. So kümmern sich Mütter nicht in allen Gesellschaften intensiv um ihre kleinen Kinder, auch nicht in allen »traditionellen« Kulturen.
    In diesem Buch lade ich Sie ein, einen ethnologischen Blick auf Kulturen weltweit zu werfen, auch auf unsere eigene(n). Aus Murdocks verwirrendem Strauß von Gemeinsamkeiten habe ich einige ausgewählt und zu einem guten Dutzend alltagsnaher Themen zusammengefasst. In den Kapiteln werden Ihnen so unterschiedliche Menschen begegnen wie die Hochlandbewohner im fernen Neuguinea, städtische Beamte in Indonesien, Könige in der Südsee und Jugendliche in Köln. Beim Vergleich auf Augenhöhe wird eine immense kulturelle Bandbreite zum Vorschein kommen und – faszinierender als jede Exotik – das Gemeinsame gerade da, wo man es nicht erwartet. Daraus lässt sich eine Menge für Politik und Wirtschaft lernen und nicht zuletzt für das eigene Leben. Der eigentliche Reichtum kultureller Unterschiede wird erst klar, wenn man das Gemeinsame sieht. Erst der weltweit vergleichende Blick zeigt neben der uferlosen Vielfalt die großen gemeinsamen Linien: die menschliche Einheit im Meer kultureller Unterschiede.
    Der Vergleich von Kulturen prägt dieses Buch. Üblicherweise wird dabei der Kontrast zwischen Kulturen verstärkt. Ich versuche, den Vergleich offener zu gestalten. So wird er auch offen für Gemeinsamkeiten. Vergleichen heißt aber nicht gleichmachen. Das wäre, als bloßer Gegenpart, ebenso verfehlt wie die Fixierung auf Unterschiede. Ich bin in diesem Buch ganz bewusst zurückhaltend mit dem platten Paarvergleich zwischen »unserer Kultur« und »anderen
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