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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
Autoren: Christoph Antweiler
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verstanden, dass er von ihnen so behandelt werden wollte, als seien sie unter sich. Auch er selbst hatte sich überhaupt nicht darüber gewundert, dass die Sitzhöhe etwas mit sozialem Status zu tun hat. Es war ihm ganz selbstverständlich erschienen. Er war sich auch gleich darüber im Klaren, dass den Jungen ihr soziales Ansehen wichtig war, dass es, trotz des menschenleeren Weges, um Verhalten in der Öffentlichkeit ging. Und das alles hatte er nicht in Büchern über die Kultur der Malaien gelesen. Er hatte es als Gepäck in seinem Rucksack als Mensch.
    Brown ist elektrisiert, er ist auf eine vielversprechende Spur gestoßen. Je länger er über die Situation nachdenkt, desto stärker kommt ihm deren Unkompliziertheit und Vertrautheit zu Bewusstsein. Die Abfolge von Fragen und Antworten, der Tonfall ihrer Stimmen, als sie erklärten, dass es ihnen peinlich sei, über ihm zu sitzen, die Mimik der jungen Malaien, all das erinnert ihn an seine Zuhörer im Hörsaal. Und er ist sich sicher, dass seine Studenten in Kalifornien fast alle Gesten der jungen Leute aus Brunei verstehen würden – nicht nur bei Witzen über Sex.
    Es ist verblüffend, wie einfach sich Menschen verständigen können, auch wenn sie verschiedene Sprachen sprechen. Das ist selbst dann so, wenn sie aus kulturell einander völlig fremden Kosmen kommen. Es gibt zwar jede Menge Missverständnisse, aber dennoch kann man miteinander umgehen. Diese Erfahrung haben Goldsucher in den 1930er Jahren mit den Papua und Verhaltensforscher in den 1960er Jahren mit den Eipo in Neuguinea gemacht, den letzten bis dahin »unentdeckten« Völkern.
    Brown fragt sich, warum er all die Jahre in seinen Seminaren einen eigentlich nur graduellen Unterschied zwischen Kulturen derart betont und dabei den verbindenden, allgemein menschlichen Aspekt der Situation völlig aus dem Blick verloren hat. Er beschließt, dem Gemeinsamen der Kulturen auf den Grund zu gehen. Ist es zum Beispiel überall so, dass Sitzhöhe sozialen Rang zeigt? Er beginnt, systematisch Informationen zu sammeln. Nach Jahren der Recherche bringt er 1991 sein Buch Human Universals heraus, bis heute weltweit eines der ganz wenigen Bücher über Kulturuniversalien.
    Sitzordnungen, Raumverhalten und Familienfeiern
    Raum ist eine Grundkategorie sozialen Umgangs. Wenn wir in einem ethnologischen Buch über eine Kultur blättern, begegnet uns mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Hausgrundriss oder eine schematische Karte. Da sieht man, wer wo arbeitet und schläft oder wer bei einem Ritual wo sitzt. Es ist üblich, durch Sitzordnung anzuzeigen, wo jemand in der sozialen Ordnung steht. Wer sitzt vorne, wer hinten? Wer sitzt nahe am Geschehen und wer am Rand? Welche Leute sitzen eng beieinander und welche weit voneinander entfernt? Wo gehen die Frauen hinein, und welchen Eingang benutzen die Männer?
    Hierzu gibt es in fast allen Kulturen Regeln. Die Regeln sind oft sehr genau, auch wenn sich die Menschen dessen gar nicht bewusst sind. Klare Spielregeln gibt es in vielen Gesellschaften vor allem zum Raumverhalten der beiden Geschlechter. Menschen in muslimischen Ländern denken nicht viel darüber nach, dass Frauen und Männer getrennt sitzen. Das ist einfach so, in Moscheen wie bei privaten Feiern. Es ist so »natürlich«, dass es normalerweise keinem auffällt. Bei allen Hochzeitsfesten oder Beschneidungsfeiern, die ich in Indonesien erlebt habe, saßen Frauen und Männer getrennt. Das wird befolgt, ohne dass irgendjemand Anweisungen gibt. Es wird höchstens ein Wort darüber verloren, wenn der Ethnologe es einmal vergisst. In indischen Bussen habe ich oft gesehen, dass sich vorne hinter dem Fahrer eine eigene Abteilung für Frauen bildet. Männer würden sich nie dort hinsetzen, auch wenn der Bus brechend voll ist. Und in Indien sind die Busse immer brechend voll. Manche westliche Frau mit unangenehmen Grabsch-Erfahrungen würde das vermutlich als Modell für deutsche Busse und überfüllte Bahnen begrüßen.
    Wir brauchen uns aber gar nicht auf die andere Seite der Erdkugel zu begeben. Touristen können diese Geschlechtertrennung beim Urlaub überall am Mittelmeer erleben, egal ob in katholischen Dörfern Italiens, der orthodoxen Provinz Griechenlands oder an der islamischen Küste Nordafrikas. Rund ums Mittelmeer werden Geschlechter getrennt, wie in vielen Kulturen, in denen die Ehre der Familie ein zentraler kultureller Wert ist. Öffentlichkeit und Privatsphäre sind nach Geschlechtern getrennt. Die Ehre
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