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Heimat Mensch - Was uns alle verbindet

Titel: Heimat Mensch - Was uns alle verbindet
Autoren: Christoph Antweiler
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Crashkurs war auf das Allernotwendigste beschränkt, und der japanische Lehrer konzentrierte sich auf sechs Wörter, drei zur Natur und drei zur Kultur. Zur Natur waren es »Bambus«, »Berg« und »Fluss«. Zur Kultur erläuterte er die Wörter »oben«, »Mitte« und »unten«. Das sagt viel, nicht nur über Japan, sondern generell über menschliche Kulturen. In Japan mag das Statusdenken besonders ausgeprägt sein, aber bedeutsam ist es in allen Kulturen.
    Weltweit wird sehr genau geschaut, wer in der sozialen Pyramide oben und wer unten steht. Das soziale Oben und Unten wird nicht nur wichtig genommen, sondern auch symbolisch dargestellt. In der Regel wird es sogar für alle sichtbar gezeigt. Sitzordnungen eignen sich dafür hervorragend. Wer sitzt wo oben auf dem Podest, wer schwingt unten Fähnchen? Das war nicht nur so bei der Verehrung von Kapitän Cook im Hawaii des 18. Jahrhunderts, das ist auch heute noch so bei großen Events, ob in der Wall Street, in Ulan-Bator oder am Brandenburger Tor.
    Auch der Alltag in der vermeintlich egalitären modernen Gesellschaft ist alles andere als hierarchiefrei. In der Arbeitswelt und in der Werbung spielen Sitzhöhe und Körpergröße eine wichtigere Rolle, als wir wahrhaben wollen. Wie dick musste das Telefonbuch sein, auf dem Rainer Barzel bei den Werbeaufnahmen stand, damit er auf dem Wahlplakat an den gewaltigen Helmut Kohl heranreichte? In welchem Winkel muss der Kameramann beim Parteitag Angela Merkel aufnehmen, damit aus der kleinen Person die bedeutende Kanzlerin wird? In der Wirtschaft mögen die Hierarchien »flacher« werden. Die Körperpositionen werden es nicht. Wer höher sitzt, ist weiter oben. Groß gewachsene Personen können das recht locker sehen, denn sie sitzen per se höher. Wir sollen und wollen immer von Äußerlichkeiten absehen. Aber Psychologen sagen uns, dass große Personen allgemein für sympathischer und erfolgreicher gehalten werden als kleinere. Und sie haben tatsächlich mehr Erfolg. Ökonomen haben nachgewiesen, dass man das Gehalt amerikanischer Manager allein aufgrund ihrer Körpergröße recht gut einschätzen kann.
    Hierarchien und ihre räumlichen Folgen lassen sich besonders schön bei Festen beobachten. Kommunionsfeiern und Hochzeiten sind für mich ohnehin immer Übungen in der Ethnografie der eigenen Kultur. Da kann man zuschauen, wie der linke Sozialutopist mit einem Mal zum devoten Traditionsträger mutiert. Der alte Vater hat in der Familie zwar nichts mehr zu melden, beim festlichen Anlass darf er aber noch einmal eine Rede halten. Er erhebt sich, und alle anderen ducken sich, wenn auch nur für Minuten. Jede Nachrichtensendung zeigt uns, wie das Oben und Unten im Raum ausgespielt wird. Die Empfänge der Potentaten sind bis in die Kleinigkeiten genauestens orchestriert. Raumverhalten ist der Mittelpunkt der Etiketteausbildung, bei Knigge und im auswärtigen Dienst. Wo soll Präsident Obama stehen, wenn er und die Queen sich begrüßen? Was tun angesichts der Tatsache, dass Michelle Obama so groß ist und Elizabeth II. so klein? Und darf sie die Queen berühren? Wie hoch sitzt die britische Königin? Höher als der amerikanische Präsident?

Nackte Tatsachen Sex und Moral
    Es ist Januar 1990. Ich bin seit wenigen Tagen in Ujung Pandang, einer Stadt auf der Insel Sulawesi in Indonesien. Hier, kurz unter dem Äquator, werde ich für ein Jahr meine Feldforschung betreiben: Der Wissenschaftler lebt unter den Menschen, über deren Kultur er etwas herausfinden will. Als die Feldforschung vor knapp 100 Jahren entstand, untersuchte man einen kleinen Stamm auf einer Waldlichtung am Amazonas. Bei Bronislaw Malinowski, einem der Urväter der Disziplin, ging es um die Menschen auf einer abgelegenen Südseeinsel. Meine »Insel« ist ein Viertel am Rand dieser Millionenstadt, die, anders als die Hauptstadt Jakarta, im Windschatten der Moderne vor sich hin döst.
    Mit meiner Frau hatte ich in den Jahren zuvor verschiedene Teile des riesigen Archipels bereist. Uns gefiel es überall in Indonesien, aber wir haben uns immer gefragt, wo es sinnvoll und dazu auch noch schön wäre, ein Jahr zu leben und zu forschen. Das hieß für mich: in einer Stadt, weil mich das urbane Chaos fasziniert. Selbst Molochmetropolen wie Jakarta und Bangkok finde ich hochinteressant. Der Süden Sulawesis ist eine wunderschöne Reislandschaft, und Ujung Pandang ist eine Hafenstadt. Bei unserem Besuch zwei Jahre zuvor hatte uns die legere Atmosphäre auf Anhieb
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