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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt
Autoren: Purpurmond
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Feindinnen. Von der ersten Minute an hatte sie mich nicht leiden können, keine Ahnung, wieso. Vielleicht, weil sie mit einer Neuen in der Klasse, die »Caitlin« hieß, nicht mehr die Queen der Exotennamen war? Eine andere Erklärung fiel mir nicht ein. Ich war völlig neu an der Schule und hatte noch nicht mal meine Jacke ausgezogen, geschweige denn mich vorgestellt, als schon das Getuschel im Klassenzimmer losgegangen war.
    Es waren vier Mädchen, die miteinander flüsterten und immer wieder grinsend zu mir hersahen, während ich mir vor der Tafel einen abbrach und auf Geheiß des Lehrers erzählte, wer ich war und wo ich herkam. Obwohl sie leise sprachen, konnte ich deutlich die Worte »Rübenkopf« und »Muschelschubser« heraushören. Sehr kreativ, mich so zu betiteln, nur weil ich rote Haare hatte und aus Norddeutschland kam, hatte ich damals bitter gedacht.
    Es war nicht schwer gewesen, herauszufinden, wer die Drahtzieherin des Lästerzirkels war: Sina mit ihren langen, dunklen Schneewittchenhaaren und den schwarzen Kirschaugen, die sie unschuldig-kullerig aufreißen konnte, während aus ihrem Rosenblütenmund die fiesesten Sprüche kamen. Dabei schob sie eine Oberweite vor sich her, die offenbar allen männlichen Schülern von der Mittel-bis zur Oberstufe Schnappatmung und dauerhaften Sauerstoffmangel bescherte. Viele Mädchen bewunderten es, wie Sina die Jungs um den Finger wickelte. Und so hatte sie mit der Zeit eine große Fangemeinde um sich geschart: Die Mädchen hingen an ihren Lippen, die Jungs an ihren Brüsten. Sie war die Oberstufendiva und Königin der Clique, die das Sagen hatte. Dummerweise hatte sie mich für die Rolle des Aschenblödels auserkoren. Und weit und breit war kein Prinz in Sicht, der mich hätte erlösen können.
    Folglich stand ich auch in dieser Pause wieder alleine an der Backsteinwand des Oberstufentrakts und tat, als wäre ich rundum mit meinem Leben zufrieden, während Sina fünf Meter weiter Hof hielt. Doch dann löste sie sich aus der Traube ihrer Getreuen und steuerte auf mich zu. Das konnte nur eine neue Attacke bedeuten, und ich ging instinktiv auf Abwehr: Sina auf zwölf Uhr, alle Gehirnzellen in Habtachtstellung, dachte ich alarmiert.
    Doch ihre Stimme klang ganz normal, ja fast freundlich, als sie sich vor mir aufbaute:
    »Hi, Cat. Wir machen heute Abend Party im alten Drudenhaus. Hast du Lust?«
    Mir blieb vor Überraschung die Stimme weg. Sina lud mich zu einer Feier ein? Da musste doch irgendetwas dahinterstecken!
    »Das ist nicht zufällig eine ›Wir machen die Neue fertig‹-Party?«, fragte ich möglichst cool und ließ sie dabei nicht aus den Augen.
    Doch ihr Gesicht verriet nur milde Verwirrung. »Nein, wieso? Ich dachte, du freust dich. Aber dann eben nicht«, meinte sie schulterzuckend und hatte sich schon abgewandt, als ich doch noch mal den Mund aufkriegte und ohne es zu wollen die Worte aus mir herauspurzelten: »Okay, ich komme. Wann?«
    Sina drehte sich um und lächelte mich gewinnend an: »Um neun. Kannst ja ’ne Tüte Chips mitbringen.« Damit ging sie zurück zu ihrem Hofstaat und tat, als wären die letzten zwei Minuten nie passiert.
    Ratlos blieb ich an der Mauer stehen und kratzte mich am Kopf. Sollte ich da wirklich hingehen? Im Geiste hörte ich die Predigt meiner Mutter, in der viel von »sich in die Gemeinschaft integrieren« und »Vorurteile abbauen« die Rede war, und beschloss, dass es einen Versuch wert war. Mehr, als mich fehl am Platze zu fühlen, konnte mir schließlich nicht passieren. Dachte ich zumindest. Ich hatte ja keine Ahnung, wie sehr ich auf dem Holzweg war.
     
    Pünktlich um 21 Uhr stieß ich, bewaffnet mit einer Tüte Balsamico-Chips, die gesplitterte und an vielen Stellen brüchig gewordene Holztür auf. Ich hatte schon einiges über das berühmt-berüchtigte »Druden-« oder »Malefizhaus« gehört. Gleich an meinem ersten Schultag hatte jemand ein Referat darüber gehalten.
    Erbaut während der Hochzeit der Hexenverfolgungen im 17. Jahrhundert, diente das Gebäude zunächst als Gefängnis für angeklagte »Hexen und Zauberer«. Die wurden ins Verlies geworfen, gefoltert und anschließend auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Als der Wahnsinn während des Dreißigjährigen Krieges endlich ein Ende hatte, stand das Drudenhaus leer. Erst ein Vierteljahrhundert später wurde es in ein Gasthaus umfunktioniert, das »Zur alten Hexe« hieß und mit seiner gruseligen Vergangenheit warb. Die Gäste kamen gerne und zahlreich, bis
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