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Heike Eva Schmidt

Heike Eva Schmidt

Titel: Heike Eva Schmidt
Autoren: Purpurmond
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Gelegenheit geben, sich von meinem Bauch in den Kopf auszubreiten. Ich durfte nur nicht darüber nachdenken, dass die Kerzen höchstens noch eine Stunde lang brennen würden, ehe ich in undurchdringlicher Schwärze hier unten festsaß, sonst würde mich die Angst überschwemmen wie eine Atlantikwelle den Schwimmer, der sich zu weit hinausgewagt hatte. Ich schloss die Augen und versuchte, ruhig und tief zu atmen. Langsam stand ich auf und zwang mich, gemessenen Schrittes zur Tür zu gehen. Natürlich war sie verschlossen. Beim Reinkommen hatte ich flüchtig einen hölzernen Riegel gesehen, den man herunterklappen und in die eiserne Vorrichtung am Türrahmen einrasten lassen konnte. Offensichtlich hatte Sina genau das getan.
    Ich legte mein Ohr an die Tür. Kein Laut war zu hören. Mit bemüht kontrollierter Stimme rief ich: »Komm, Sina, nun ist gut. Mach die Tür auf!«
    Als Antwort nur dröhnende Stille. Probehalber rüttelte ich etwas fester an der Tür. Sie bewegte sich keinen Millimeter.
    »Sina, mach auf oder es wird dir leidtun, ich schwör’s!«, sagte ich nun schon lauter. Ich meinte es ernst. Wenn ich hier rauskam, würde sie ihr blaues Wunder erleben. Und es war mir egal, dass man sich als Mädchen nicht prügelte – schon gar nicht, wenn man 16 war.
    »Du blöde Bitch, mach die Tür auf«, brüllte ich schließlich. Vergebens. Kraftlos lehnte ich mich an das alte, rissige Holz und ließ mich langsam daran hinuntergleiten, bis ich in der Hocke zum Sitzen kam. Obwohl ich nicht sah, was sich vor der Türe tat, spürte ich, dass ich vergeblich um Hilfe rief. Sina war nicht geblieben, um sich an meinem Schrecken zu weiden. Und auch keines der anderen Mädchen. Ich war alleine. Bald würde ein Docht nach dem anderen herunterbrennen, die Kerzenflammen verlöschen – und dann säße ich im Dunkeln. Fern, ganz fern hörte ich eine Kirchenuhr schlagen. Elf tiefe, hallende Schläge. Noch eine Stunde bis Mitternacht. Geisterstunde, dachte ich schaudernd. Ich musste hier raus – egal wie.

Kapitel 2
    D orothea hörte die Kirchturmuhr schlagen und lächelte. Noch eine Stunde, dann würde das Fest beginnen. Die ganze Stadt würde auf den Tanzplatz strömen, Lautenspieler würden ihre Instrumente stimmen und um die Gunst der Bamberger Bürger werben, damit möglichst viele Pfennige und Groschen in ihren Säckeln landeten. Ganze Ochsen und Hammel würden über offenen Feuerstellen schmoren, und der Bratenduft wäre schon von weitem zu riechen. Gegen den Durst halfen gewürzter Wein und natürlich das Bier, das Bamberg bis über die Stadtgrenze hinaus berühmt gemacht hatte.
    Doch all das interessierte Dorothea nicht. Sie ging nicht wegen des Essens oder Trinkens zu dem Fest. Sondern wegen Daniel. Selbst wenn sie stumm seinen Namen aussprach, schlug ihr Herz ein paar Takte schneller. Als sie sich sein Gesicht vor Augen rief – das hellbraune Haar mit der widerspenstigen Strähne, die ihm immer ins Gesicht hing, und seine grünblauen Augen –, überlief sie ein wohliger Schauer, und das Blut schoss ihr in die Wangen.
     
    Sie hatte sich sofort in ihn verliebt, obwohl er zunächst keinen Blick für sie übrig gehabt hatte. Er hatte damals heftig an die Tür des bescheidenen Häuschens gehämmert, das Dorothea mit ihrer Mutter bewohnte. Bleich und aufgelöst war er in die Stube gestolpert und sofort damit herausgeplatzt, dass sein Vater krank darniederlag und er rasch eine Medizin brauche, um dessen Qualen zu lindern. Dorotheas Mutter hatte den jungen Mann auf einen Hocker gedrückt und sich seinen Bericht über die Beschwerden des Vaters angehört, während sie in der Stube herumgegangen war und mit ruhiger Hand zwischen getrockneten Kräuterbüscheln das Passende herausgesucht hatte.
    Erst als die Mutter begann, den Heiltrank im Kupferkessel auf dem Herd zu brauen, wagte es Dorothea, die bis dahin unbemerkt in der Ecke gestanden hatte, unfähig, den Blick von dem Jungen mit den quellwasserfarbenen Augen zu wenden, sich bemerkbar zu machen. Schüchtern reichte sie ihrer Mutter einen Bund getrockneter Holunderblüten und sagte leise:
    »Gib dies dem jungen Herrn, damit er daraus einen Tee bereite. Die Blüten werden das Fieber seines Vaters senken.« Sich direkt an ihn zu wenden, dafür fehlte ihr der Mut. Der junge Mann wandte den Kopf und musterte Dorothea neugierig. Sie fühlte, wie ihre Haut zu prickeln begann, als hätte sie sie mit der harten Bürste aus ihrem Waschzuber gescheuert. Verlegen starrte sie zu Boden,
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