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Heaven - Stadt der Feen

Heaven - Stadt der Feen

Titel: Heaven - Stadt der Feen
Autoren: Christoph Marzi
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war zu benommen, um irgendwas zu tun. Die Kapsel drehte sich weiter dem Erdboden entgegen, langsam, so langsam.
    Für einen langen Moment herrschte Schweigen in der Kapsel.
    »Ihr fragt euch sicher, was ich jetzt vorhabe.« Mr Sims blieb ganz ruhig, sah auf London herab und stellte fest: »So viele Lichter. Das Leben geht immer weiter, nicht wahr?« Der Schnee fiel wie winzige Träume herab. »Wir sind nur die blinden Passagiere, die es überall gibt.«
    »Was haben Sie vor?«, fragte David.
    Mr Sims zuckte die Achseln. »Nichts«, sagte er und hörte sich müde an. Er hob den Blick zum Himmel empor. Das tiefschwarze Nichts spannte sich von Kensington bis nach Hampstead.
    »Sie geben auf?«, fragte David.
    Er nickte. »Ja«, sagte er müde. »Wenn du es so nennen willst. Ich gebe auf.« Sein Gesicht war jetzt von winzigen Fältchen durchzogen und plötzlich wirkte er nicht mehr überlegen und entschlossen, sondern nur noch unendlich traurig.
    »Nein«, sagte Heaven. Sie atmete tief durch.
    Er blickte sie an. »Nein?«, fragte er und hob eine Augenbraue.
    »Sie brauchen nicht aufzugeben«, sagte sie ruhig. »Siewerden bekommen, was Sie sich wünschen. Sie werden nach Hause zurückkehren.« Die Entschlossenheit in Heaven klang wie eine Weisheit, die noch keiner erkannt hatte, außer ihr selbst.
    Sie trat auf Mr Sims zu. David brauchte nur einen Moment, um zu verstehen.
    »Was tust du da?« Er hörte die schrille Panik in seiner Stimme.
    Sie drehte sich zu ihm um. »Hab keine Angst. Ich weiß, was ich mache.«
    »Blödsinn. Du hast keine Ahnung. Nicht den blassesten Schimmer hast du.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich spüre, was ich tun muss. Genau wie vorhin, als du gefallen bist.« Sie sah ihn aus ihren dunklen Augen an. »Ich muss das hier tun.« Dann schüttelte sie den Kopf. »Oder nein: Ich will es tun.«
    Sie blieb vor Mr Sims stehen und streckte den Arm aus. Dann legte sie ihre Hand flach auf die Stelle, an der ihr eigenes Herz in seinem Körper schlug.
    Mr Sims blickte sie an. Und wenn jemals in den Augen eines Kometen das Licht aller fernen Hoffnungen hatte schimmern dürfen, dann tat es das jetzt, in diesem einen seltsamen Moment, hoch über den Dächern von London.
    »Wenn du mir hilfst«, sagte er, »dann wirst du ein gewöhnlicher Mensch sein. Du wirst sterben wie ein gewöhnlicher Mensch. Und du wirst nie zu deiner Mutter zurückkehren können.«
    Sie nickte, Tränen in den Augen.
    »Du hast gespürt, was du tun kannst«, sagte er eindringlich, als wolle er sie doch noch umstimmen. »Du hast Davidgerettet, weil du es dir gewünscht hast. Das ist die Magie, die Feen wirken. Wenn du mir dein Herz schenkst, dann wirst du all das verlieren.«
    »Ich bin keine Fee.« Sie lächelte still. »Aber ich habe es verstanden.«
    Ein sanftes Glitzern ging von ihrer Hand aus, erst zaghaft, dann stärker. Sie bewegte ihre Finger. Eiskristalle bildeten sich auf ihrer Haut. Ihr Atem wurde zu Raureif und für einen Moment schien es, als wären selbst ihre Augen zugefrorene Seen, in deren Dunkelheit man Wunder zu finden vermochte.
    Mr Sims öffnete die Lippen, doch kein Ton drang zwischen ihnen hervor. Eine dünne Eisschicht bedeckte plötzlich seine Brust. Sie breitete sich aus, kroch ihm langsam den Hals hinauf und benetzte seinen Blick. Sein Atem gefror und etwas in ihm glühte auf, in dunklem Rot.
    Das Glühen ließ das Eis auf Heavens Hand und Heavens Arm bersten, es wanderte tief in ihren Körper hinein, und alles Eis, das sie bedeckte, schwand so unmittelbar, dass es wie ein Traum anmutete. Sie hustete helle Schneeflocken, die von dem, was einmal Mr Sims gewesen war, wie von einem Magneten angezogen wurden.
    Die Kälte sprang auf die Fenster über. Selbst die Klimaanlage spuckte Schneeflocken aus.
    Lange zackige Risse zogen sich über die Fenster der Gondel. Das Glas zersprang, wie Musik, der niemand mehr zuhörte.
    David trat auf Heaven zu und nahm sie in die Arme. Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Brust. Dann platzten die Fenster. Feines Glas rieselte auf den Boden der Kabine.
    Mr Sims war jetzt durchsichtig wie ein Eisblock. Das, was Organe gewesen waren, schimmerte wie Glas in ihm. Es bewegte sich, lebendig und frohlockend, weil die eisige Luft, die ihnen die Haare verwehte, ein Vorbote seiner neuen Heimat war.
    Ein Windhauch berührte ihn. Und alles Eis, das Mr Juno Sims gewesen war, wurde zu einer Wolke winziger Kristalle, die wirbelnd aus der Kapsel gerissen wurden und sich mit dem tosenden Schneesturm
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