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Headhunter

Headhunter

Titel: Headhunter
Autoren: Jo Nesbo
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Erstaunlicherweise verfehlen beide Kugeln ihr Ziel.«
    »Erstaunlicherweise?«
    »Er hat aus nächster
Nähe geschossen. Außerdem war Greve ein ausgebildeter Soldat.«
    »Er schießt also
stattdessen in die Wand?«
    »Nein.«
    »Nein?«
    »Nein,
in der Wand über dem Bett waren keine Einschusslöcher. Er trifft das Fenster.
Das heißt, er trifft auch das Fenster nicht, denn das steht weit offen. Er
schießt nach draußen.«
    »Nach
draußen? Woher wissen Sie das denn?«
    »Weil
wir draußen die Projektile der Pistole gefunden haben.«
    »Tatsächlich?«
    »Im
Wald hinter dem Haus. In einem Vogelhaus für Eulen, das an einem Baumstamm
hängt.« Sperre lächelte schief, wie Männer es gerne tun, wenn sie bei einer
tollen Geschichte untertreiben.
    »Ich
verstehe. Und dann?«
    »Kjikerud
erwidert das Feuer mit der Uzi, die er neben sich im Bett hat. Wie wir im Film
erkennen können, trifft er Greve im Schritt und im Bauch. Greve lässt daraufhin
die Pistole fallen, aber dann bekommt er sie noch einmal in die Finger und
feuert einen dritten und letzten Schuss ab. Dieser Schuss trifft Kjikerud über
dem rechten Auge direkt in die Stirn. Die Kugel bewirkt massive Hirnschäden,
führt aber nicht direkt zum Tode - so schnell geht das meistens nur im Film -,
so dass er eine letzte Salve auf Greve abfeuern kann, bevor er stirbt. Die
Kugeln dieser letzten Salve treffen auch Greve tödlich.«
    Es
war totenstill. Der Aufnahmeleiter gab Odd G. Dybwad mit einem Finger das
Signal, dass die Sendung noch eine Minute dauerte und er zu seinem Resümee
kommen musste.
    Odd
G. Dybwad lehnte sich zurück. Er war jetzt deutlich entspannter. »Die
Ermittlungsbehörden hatten also nie einen Zweifel daran, dass sich das alles so
zugetragen hat?«
    »Nein«,
sagte Sperre und sah G. Dybwad in die Augen. Dann breitete er die Arme aus.
»Aber es ist klar, dass es immer ein paar Ungereimtheiten geben wird, was die
Details angeht. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen. Als der Gerichtsmediziner
zum Tatort kam, fand er heraus, dass die Körpertemperatur von Kjikeruds Leiche
seltsam schnell gesunken war, so dass er, wenn er nach seinen Tabellen urteilen
sollte, den Zeitpunkt des Todes fast einen Tag früher hätte ansetzen müssen.
Aber dann kam den Polizisten in den Sinn, dass Kjikerud im Gegensatz zu Greve
direkt vor dem offenen Fenster gelegen hatte, und dieser Tag war ja der erste
Frosttag in Oslo. Solche Ungereimtheiten gibt es aber immer, das liegt in der
Natur unserer Arbeit.«
    »Genau.
Man kann Kjikerud auf den Filmaufnahmen zwar nicht sehen, aber die Kugel in
seinem Kopf stammt eben ...«
    »...
aus der Glock-Pistole, mit der Greve geschossen hat, ja.« Sperre lächelte
wieder. »Die Indizien sind wirklich - wie es in der Presse so gerne heißt -
erdrückend.«
    G.
Dybwad lächelte angemessen breit, während er die Papiere vor sich
zusammenschob. Das war das Signal für die Schlussworte. Er musste Brede Sperre
jetzt nur noch danken, den Blick in die Linse von Kamera eins richten und das
zweite Thema des Abends ankündigen: die neuen Landwirtschaftssubventionen.
Aber er verharrte mit halb geöffnetem Mund und sah plötzlich nachdenklich aus.
Ein Hinweis über den Ohrhörer? Hatte er etwas vergessen?
    »Bevor
wir schließen, Sperre«, sagte G. Dybwad ruhig und routiniert. »Was wissen Sie
eigentlich über die erschossene Frau?«
    Sperre
zuckte mit den Schultern. »Nicht viel. Wie gesagt halten wir sie für Greves
Geliebte. Einer der Nachbarn hat ausgesagt, dass er Greve hat kommen und gehen
sehen. Sie ist nicht vorbestraft, aber von Interpol wissen wir, dass sie vor
vielen Jahren einmal in eine Drogensache verwickelt war, als sie mit ihren
Eltern in Suriname lebte. Sie war dort die Geliebte eines Drogenbarons, doch
als dieser von einer holländischen Spezialeinheit getötet wurde, half sie mit,
den Rest des Drogenrings zu enttarnen.«
    »Dann
wurde sie also nicht verurteilt?«
    »Sie
war damals noch nicht strafmündig. Und überdies schwanger. Die Behörden
schickten sie mit ihrer Familie zurück in ihre Heimat.«
    »Und
das war ...«
    »Genau,
Dänemark. Dort wohnte sie, bis sie vor drei Monaten nach Oslo zog und dann ein
so tragisches Ende fand.«
    »Tja,
damit sind auch wir am Ende, Brede Sperre, ich möchte Ihnen ganz herzlich
danken.« Brille absetzen und den Blick auf Kamera eins richten. »Muss Norwegen
um jeden Preis seine eigenen Tomaten anbauen? In der Abendredaktion werden wir
anschließend ...«
     
    Das
Fernsehbild implodierte,
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