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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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ist nichts weiter als die Entsorgung von Störenfrieden. Sie lösen damit kein einziges soziales Problem, und die Ursachen haben sich in den letzten fünfzig Jahren nicht verändert. Es ist immer die soziale Situation in den Familien, und die wird in Deutschland nicht besser. Und was das heißt, das weiß ich nur zu gut.“
    Er holte tief Luft und ließ sie geräuschvoll wieder hinaus. Er musste das Gespräch wenden, wollte nicht mehr über Politik mit ihr diskutieren. „Was passierte nun nach dem Tod Ihres Mannes?“
    „Ich flog mit meinen Informationen nach Deutschland und suchte meine Tochter. Schließlich war mein größter Wunsch, mit ihr gemeinsam und mit meinem Enkel ihren zweiunddreißigsten Geburtstag zu feiern.“
    Das war es also. Das war der Auslöser für die Explosion ihres Hasses auf all die, denen sie die Schuld an ihrer Lage gab.
    Er stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte sein Kinn auf die Fingerknöchel. Dann nickte er verstehend. „Und als Sie nach all den Jahren endlich bei Ihrer Tochter ankamen, war sie schon zwei Jahre tot.“

24
    Manzetti ließ heißes Wasser in die Badewanne laufen. Viel zu viel, wie Kerstin jedes Mal zu recht bemerkte, denn ein guter Teil der Wasserrechnung ging auf seine ausgedehnten Bäder. Zu seiner Verteidigung bemühte er dann die Geschichte seiner italienischen Vorfahren, die bekanntermaßen oft und lange in Thermen anzutreffen gewesen waren.
    Er legte seine Kleidung auf den Toilettendeckel und ließ sich behutsam in das schaumige Nass gleiten. Das fast schon ungesund heiße Wasser reichte ihm bis ans Kinn und begann bereits nach wenigen Sekunden, den Körper krebsrot zu färben. Seine Arme auf dem Wannenrand waren voller Schaum. Die Badtür stand weit offen, und so konnte er jeden Ton von Tschaikowskis Klavierkonzert Nr. 1 hören, das gerade überlaut aus den Lautsprechern im Wohnzimmer schallte. Ausnahmsweise störte es niemanden, denn Paola war mit ihrer Mutter unterwegs, und Lara war bei ihrer Freundin Nora.
    Nora, der Auslöser für den Streit mit seiner Tochter.
    Manzetti kippte mit dem großen Zeh die gelbe Plastikente ins Wasser, die seit ungefähr fünfzehn Jahren auf dem hinteren Wannenrand saß, dort wo der Stöpsel war. Von da aus hatte sie beiden Töchtern beim Baden gedient. Nun war sie aber längst im Vorruhestand, denn selbst Paola war inzwischen der Meinung, dass nur Babys mit Enten baden gingen.
    Für Manzetti aber war sie heute der Schlüssel zur sorglosen Vergangenheit, als sich Lara noch gemeinsam mit ihren Eltern in der Badewanne vergnügte und mit einem entsetzlich grellen Quietschen unbekümmert den ganzen Schaum über den Fußboden verteilte. Es war schön gewesen, und Lara noch so unschuldig.
    Was heißt denn war?, schien der gelbe Wasservogel zu fragen, als er aus dem Wasser geschnellt kam, nachdem er ihn hinuntergedrückt und dann losgelassen hatte, und während er nun im Schaum sanft schaukelnd genau in seine Richtung blickte. Teile seines Gesichts spiegelten sich auf der feucht glänzenden Oberfläche. Konnte eine gelbe Plastikente herausfordernd schauen?
    Sie konnte. Manzetti sprang aus der Wanne, ließ wie selbstverständlich die Sachen auf dem Toilettendeckel liegen und zog sich im Schlafzimmer neue an. Dann ließ er sich ein Taxi kommen und in die Harlunger Straße fahren. Dorthin, wo Nora wohnte.
    Er grüßte hastig, als die Mutter von Nora ihm die Tür öffnete. „Mein Name ist Manzetti …“
    „Ach, kommen Sie doch rein. Die Mädchen sind bei Nora im Zimmer. Es ist schön, wenigstens mal einen Elternteil von Lara kennen zu lernen.“
    „Ich freue mich auch“, log er. „Aber ich möchte nicht zu Lara, sondern zu Ihnen und Ihrem Mann. Ich glaube, dass wir etwas besprechen sollten.“
    Die Freundlichkeit verschwand sofort aus dem Gesicht der Frau, die noch immer die Türklinke in der Hand hielt. Ihre Stimmung kehrte sich nicht in Unfreundlichkeit um, wich aber einem Anflug von Besorgnis. Schließlich war ihr der Beruf des Mannes bekannt, der da vor ihrer Tür stand, und Polizisten, die ungebeten auftauchten, waren selten gute Botschafter. „Kommen Sie.“ Sie führte den Besucher ins Wohnzimmer, wo ihr Mann auf dem Sofa saß und versuchte, sich durch vierzig Programme zu kämpfen.
    „Ich möchte Ihnen von einem Fall erzählen, der vor vielen Jahren mit der Einweisung eines jungen Mädchens in ein Heim begonnen hat, weil seine Eltern und seine Großeltern ihm ihre Liebe entzogen haben.“
    Das Ehepaar, das ihm
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