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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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Rettung bringt.“
    Consiglio erntete an dieser Stelle leises Lächeln aus dem Zuhörerbereich.
    „Der gute Schaunard hat von einem Engländer Geld für ein kleines Privatkonzert bekommen, sie wollen zusammen essen gehen. Nur Rodolfo bleibt noch zurück. Und da klopft es. Es ist Mimi, die junge Nachbarin, deren Kerze auf der Treppe erloschen war. Als ihr der Schlüssel hinunterfällt und beide sich danach bücken …“ Michele Consiglio machte eine Pause, so als würde seine Stimme versagen. Dann suchte er wieder Blickkontakt zu Manzetti sowie zu Doktor Manter. Ihr aufmunterndes Nicken war für die übrigen Besucher kaum wahrzunehmen.
    „Beim Bücken also, berühren sich die Hände der beiden, und Rodolfo stellt fest, dass Mimis Hand ganz kalt ist. Das wird in der berühmten Arie Che gelida manina , Wie eiskalt ist dies Händchen, besungen.“ Wieder schob Consiglio eine Pause ein, und einige Besucher glaubten Tränen in den Augen des Dirigenten zu erkennen.
    „Mein sehr verehrtes Publikum“, die Stimme des Dirigenten klang zittrig. „Auch wir, die Mitglieder des Ensembles, hatten vor kurzem unsere Mimi, die zwar nicht an Schwindsucht erkrankt, aber doch mit eiskalten Händchen in den Tod ging. Wir möchten mit dem ersten Akt der Oper La Bohème unsere Solotrompeterin Carolin Reinhard ehren und wir möchten auch an ihre literarische Vorlage, an die bedauernswerte Franziska aus dem Roman Bohème von Henri Murger erinnern, an jenes Mädchen, das wie Mimi immer ganz kalte Händchen hatte und auf ebenfalls ganz tragische Weise aus dem Leben scheiden musste.“
    Durch Consiglios Körper ging ein kräftiges Zucken. Er stand kerzengerade auf seinem Podium, selbst die Hände lagen nun an der glänzenden Hosennaht. „Wir denken an Carolin Reinhard und wir denken an Franziska Silbermann.“
    In dem Moment, als sich der Dirigent Michele Consiglio zu seinem Orchester umdrehte und den Taktstock hoch über den Kopf erhob, krallten sich fünf Finger in Manzettis Hand. Es waren die von Margarethe Hofmann.

    *

    Margarethe Hofmann hatte sich entschieden, ganz allein mit Manzetti zu reden. Es sollte niemand sonst dabei sein. Lediglich aufzeichnen durfte er das Gespräch, und so verließ Sonja das vorbereitete Intendantenbüro, nachdem sie die Videokamera eingeschaltet hatte. Sie ging nach unten, wo sie sich auf den freien Platz neben Kerstin Manzetti setzte.
    „Ich danke Ihnen, Herr Manzetti.“ Margarethe Hofmann legte ihre Hände auf den Tisch, gefaltet wie zu einem Gebet.
    Manzetti nickte nur.
    „Haben Sie es gestern schon gewusst?“ Sie fragte mit Neugier.
    „Fast. Ich wusste mit ziemlicher Sicherheit, dass Sie Gisela Goldberg sind, und die Fotos Ihrer Tochter an der Wand gaben mir schließlich Recht.“
    Sie nickte jetzt auch. „Ja, die Fotos. Es war sehr schwierig für mich, sie zu bekommen, umso wertvoller sind sie für mich. Das können Sie, nach allem, was Sie inzwischen von mir wissen müssen, sicher gut nachvollziehen. Ich möchte gar nicht fragen, wie Sie auf mich gekommen sind. Ich frage Sie nur, was Sie über meine Identität gerne noch erfahren möchten.“
    „Dazu weiß ich mittlerweile alles. Aber ich habe andere Fragen, die ich Ihnen gerne stellen würde.“
    Margarethe Hofmann schwieg einige Sekunden. „Okay, machen wir reinen Tisch. Darf man während eines Verhörs vielleicht einen Schluck Wein trinken, oder ist das verboten?“ Sie guckte ihn ganz ruhig an und lächelte sogar ein wenig dabei.
    Manzetti kniff die Augen zusammen und schielte Margarethe Hofmann durch enge Schlitze an.
    „Geben Sie sich einen Ruck. Es ist so etwas wie mein letzter Wille.“
    Das stimmte letztendlich auch den deutschen Teil in Manzetti um. „Und wo bekommen wir jetzt Wein her?“
    „Wir sind im Büro des Intendanten. Hinter Ihnen im Schrank deponiert er immer welchen.“
    Manzetti öffnete den Schrank und griff die Flasche sowie zwei Gläser.
    „Zum Wohl.“ Manzetti prostete ihr zu, überlegte mit Blick zur Videokamera aber gleichzeitig, wie er Claasen diese Aufnahmen erklären könnte.
    „Wo fangen wir also an?“ Sie stellte das Glas vor sich hin, während ihre Zunge keinen Tropfen der roten Flüssigkeit auf den Lippen ließ.
    „Am besten ganz vorn.“
    „Gut. Wir beginnen also 1957. Einverstanden?“
    Manzetti nickte.
    „Ich war gerade mal 17, als mich Marianne Walter nach Dortmund brachte. Sie war eine mürrische alte Hexe, obwohl sie erst Anfang zwanzig war. Aber sie hatte große Freude daran, kleine
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