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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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ob sie mir noch mehr erzählen möchte.“
    „Und was hat sie geantwortet?“
    „Heute nicht, hat sie gesagt. Morgen, nach der Operngala, da will sie mit mir reden.“
    „Gut.“ Doktor Manter stand auf. Drei Augenpaare beobachteten jede ihrer Bewegungen. „Sie wird Ihnen ein Geständnis machen. Davon bin ich überzeugt. Vielleicht kann uns das Orchester dabei noch einmal helfen.“ Sie bemerkte die Fragezeichen in den Augen, die sie nun anstarrten. „Die Musiker haben bereits Mario geöffnet. Das sollten wir mit Margarethe Hofmann auch hinbekommen.“

23
    Kerstin hatte den schwarzen Rock und das kurze dunkelgrüne Samtjäckchen angezogen, das sie beim letzten Bummel mit ihrer Schwiegermutter in Siena gekauft hatte. Sie erinnerte sich noch gut an diesen Nachmittag, denn er hatte mit Unmengen leckeren Kuchens in der Konditorei Nanini geendet, oberhalb der Piazza del Campo.
    Manzetti stand unter der Dusche. Kerstin hörte das Wasserrauschen durch die Tür. In ungefähr zwei Minuten, dachte Kerstin, würde er sich abtrocknen und das Handtuch zusammengeknüllt auf dem Toilettendeckel liegen lassen. So, als wäre das die normalste Sache der Welt, und genau so, wie in den vergangenen zwanzig Jahren.
    Endlich war er fertig, und nachdem die endlich zurückgekehrte Lara eingewiesen sowie Paola eingehend ermahnt waren, konnten sie gehen. Sie trugen dicke Mäntel, denn die Nacht war längst gekommen, Temperaturen um den Gefrierpunkt im Schlepptau.
    Unten im Foyer des Theaters standen sie mit Bekannten zusammen, jeder ein Glas Wein in der Hand. Manzetti begeisterte sich wie immer wenig an den Gesprächen, die sie mit der Kollegin von Kerstin und deren philosophierendem Ehemann führen mussten. Wunder, oh Wunder, war dieser Mann klug, und Manzetti befürchtete, dass er von Mal zu Mal klüger würde. Heute hielt der Gute sich am Wetter fest. Er habe gelesen, der November sei bislang genau 1,08 Grad zu warm, was weit oben bei den Eisbären zum Abschmelzen … Aber lieber das Wetter, als Prognosen für die nächsten Landtagswahlen, die noch gut zwei Jahre Zeit hatten. Das war nämlich üblicherweise sein bevorzugtes Thema, und bislang hatte der Brandenburger Stammtischphilosoph immer falsch gelegen, was zumeist daran lag, dass der Wähler nicht auf ihn gehört hatte.
    Manzetti sehnte das Klingeln herbei, und als es endlich ertönte, hetzte er förmlich über die vier Stufen, die ihn noch vom großen Saal trennten. Dort bog er schon ruhiger nach links ab und führte seine Frau in die erste Reihe, für die sie vom Intendanten Karten bekommen hatten. Links neben ihnen sollten Hendel und Margarethe Hofmann Platz nehmen und direkt hinter ihnen Bremer und Frau Manter. Für alle Fälle, hatte Manzetti gemeint.
    Der Intendant und Frau Hofmann kamen als Letzte und setzten sich in dem Moment, als die ersten Orchestermitglieder von rechts die Bühne betraten. Es waren die Streicher, die Bläser kamen zumeist von hinten.
    Nachdem alle Musiker saßen, ihre Instrumente gestimmt waren und absolute Stille eingetreten war, wurde die auch schon wieder durch rasenden Applaus unterbrochen, als nämlich der Dirigent freundlich nickend zu seinem Podium schritt. Den Taktstock in der rechten Hand, mit der linken sein Publikum grüßend. Die meisten waren Stammhörer, die ihn verehrten, denn es war einzig ihm zu verdanken, dass die Brandenburger Symphoniker einen Sprung gemacht hatten, der sie in höchste Ligen führte.
    Michele Consiglio verbeugte sich, worauf wieder absolute Stille eintrat, die lediglich durch ein leises Husten von ganz hinten unterbrochen wurde. Aber er hob nicht wie erwartet seinen Taktstock. Er drehte sich zum Publikum, suchte Sichtkontakt zu Manzetti und hielt seinen Stock dann, ganz wie ein kleiner, verlegener Junge, mit beiden Händen.
    „Meine sehr verehrten Damen und Herren“, begann er seine Ansprache. „Ich habe mich entschlossen, das heutige Programm etwas umzustellen. Bei unserer Operngala werden Sie nicht wie angekündigt zuerst Wagner, sondern gleich zu Beginn Puccini hören. Es wird jener erste Akt der Oper La Bohème sein, der uns in eine Pariser Mansarde führt. Hier arbeiten der Maler Marcello und der Dichter Rodolfo trotz eisiger Kälte. Wie die beiden besitzt auch der später eintreffende Philosoph Collin nicht einen Sou, und da die Pfandleihen am Weihnachtsabend geschlossen sind, opfert Rodolfo einige Seiten seines letzten Manuskriptes für ein wärmendes Feuer. Es ist wieder einmal ein Musiker, der die
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