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Havelsymphonie (German Edition)

Havelsymphonie (German Edition)

Titel: Havelsymphonie (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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schweigen mussten wir. Niemand durfte ungefragt sprechen, auch nicht beim Essen. Und das konnte man ohne Protest kaum runterbringen. Es gab fast nur Suppe, in der manchmal eklige Fettklumpen schwammen. Das magere Fleisch nahmen sich …“
    Manzetti hob die rechte Hand.
    „Aha. Kennen Sie auch den Raum der Besinnung?“
    Manzetti schüttelte den Kopf.
    „Das war eine Einzelzelle. Dunkel und kalt. Die Ausstattung war karg, bestand bloß aus einer Pritsche, und wenn man Glück hatte, lag darauf eine grobe Decke. Als Toilette diente ein alter Blecheimer mit Deckel. Zu essen gab es lediglich Wasser und Brot, was dem Magen manchmal aber besser tat, als die Suppe im Speisesaal.“
    „Aber Sie waren doch schwanger? Hat man Sie da nicht besonders gepflegt?“
    „Gepflegt? Ich musste in der Wäscherei genauso schwer schuften, wie die anderen auch. Los mach!, haben die Nonnen mich angeschrien. Schließlich hätte ich mich beim Zeugen des Kindes auch nicht geschont.“ Sie goss sich ein neues Glas Wein ein und sah dann mit funkelnden Augen zu Manzetti. „Wissen Sie, was das in einem aufbaut?“
    Er konnte es sich denken.
    „Hass. Blanken Hass baut das auf, und wenn diese Bande Ihnen dann noch Ihre Tochter wegnimmt, die Sie unter Qualen zur Welt gebracht haben, dann … dann …“
    Manzetti legte seine Hand über die von Margarethe Hofmann. Er spürte deutlich ihren Puls, der zu rasen schien. Sie beruhigte sich nur langsam, ließ aber die Hand des Polizisten auf der ihren ruhen.
    „Wie haben Sie Ihre Tochter wiedergefunden? Sie waren doch in den USA?“
    „Ja.“ Sie nahm wieder Abstand zu dem Hauptkommissar auf. Ihre beiden Hände umfassten das Weinglas. „Mein Mann war nur zum Schein Soldat. Eigentlich stand er in den Diensten des CIA, des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes. Da war es nicht schwer, an die nötigen Unterlagen zu kommen. Wie habe ich mich damals amüsiert, als ich las, dass sie meiner Tochter den Namen Franziska gegeben haben. Ausgerechnet! Einen Namen, der für die Puccini-Oper ja nicht ohne Bedeutung war, wie ich inzwischen wusste. Aber mein Mann hat mir verboten, Kontakt zu Franziska aufzunehmen. Es wäre nicht gut für sie, hat er gesagt, und außerdem, das war wohl der wahre Grund, könnte dann seine Tarnung auffliegen, und dafür habe er mir nicht bei der Einreise zu einer neuen Identität verholfen.“
    „Aber Sie versuchten es trotzdem?“
    „Ja. Aber erst, als Glenn gestorben war. Ich hatte ihm ja wirklich viel zu verdanken. Schließlich hat er mich aus einem Land geholt, in dem ich gefoltert worden bin, und das unter den Augen von Ämtern und denen der Justiz.“
    „Gehen Sie da nicht zu weit?“
    „Eigentlich nicht. Die haben mich in dieses Heim gebracht, oder? Und sie mussten doch wissen, wie es in diesen Einrichtungen zugeht.“
    „Trotzdem entschied Reinhard nach dem geltenden Recht und Gesetz. Sie können ihm also nicht diesen Vorwurf machen.“ Manzetti begann zu schwitzen. Deshalb öffnete er sein Sakko und goss sich auch noch einen Barolo ein.
    „Herr Manzetti.“ Margarethe Hofmann rückte ganz nah an sein Gesicht. „Auch bei den Hexenprozessen im Mittelalter hat man nach dem damals gültigen Recht und Gesetz entschieden. Und denken Sie an die nationalsozialistischen Volksgerichtshöfe. Waren ihre Urteile moralisch vertretbar?“
    Darauf wollte Manzetti lieber keine Antwort geben.
    Sie aber setzte ihre Anklage fort. „In was für einem Land leben wir eigentlich? Da schwärmen Politiker und Experten von den guten alten Zeiten, von den Jahren nach dem Krieg, vom Wirtschaftswunder. Das ist doch schwachsinnig, dieser ganze Nierentischkult. Sie rufen sogar ungestraft nach Zucht und Ordnung, fordern Camps für straffällige Kinder. Aber wohin führt das denn?“
    Manzetti musste sich räuspern, um, ohne große Überzeugung, sagen zu können: „Vielleicht zu mehr Abschreckung?“
    „Quatsch. Vollkommener Quatsch. Es führt zur Ausgrenzung vieler junger Menschen, zu nichts weiter. Und daraus folgen immer neue Straftaten.“
    „Aber Strafe ist eine Form, Regeln durchzusetzen.“ Er machte einen neuerlichen Versuch, nicht zuletzt auch, um seinen eigenen Berufsstand zu verteidigen.
    „Strafe schon“, entgegnete Frau Hofmann. „Aber was damals in den Heimen passierte und wonach heute wieder konservative Politiker rufen, ist die massenhafte Verletzung von Kindesrechten und damit von Menschenrechten. Herr Manzetti, das, was man damals gemacht hat und manche heute wieder vorhaben,
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