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Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen

Titel: Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen
Autoren: Sebastian Glubrecht
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NOCHTROG
    (hochdeutsch: Nachträglich eingereichter Antrag)
    In letzter Sekunde schaffe ich den Absprung. Hinter mir, auf der Bühne des Rockkonzerts, höre ich einen Roadie «Hoit» rufen, aber erstens bin ich da schon in der Luft, und zweitens verstehe ich immer noch kein Bairisch.
    Vor meinem inneren Auge ziehen die vergangenen zwei Jahre vorbei: Ich fliehe vom Land ins coole Ostberlin, werde Journalist, bekomme keinen Job, muss deshalb ins uncoole München ziehen, verliebe mich dort und vermassele blöderweise meinen Heiratsantrag.
    Aber sie lassen mich nicht fallen, die Bayern. Auch nicht an diesem warmen Frühlingstag auf dem «Spring in den Mai»-Festival am Chiemsee. Hunderte Hände fangen mich auf, greifen mir an Bauch, Beine, Po, bugsieren mich über Köpfe hinweg nach hinten und stellen mich dort auf die Füße. Das tat gut, ich fühle mich wieder jung und wild. Jetzt muss ich nur noch Roni wiederfinden. Denn eigentlich ist sie es, die ich heute auf Händen tragen will.
    Beim letzten Antrag habe ich nämlich ihren Vater um Erlaubnis gebeten, aber völlig vergessen, sie selbst zu fragen. Jetzt kann ich nicht mehr mit so etwas Banalem wie Flugzeugbannern, bemalten Bettlaken, die vom Kirchturm herabhängen, oder Sternschnuppen auf Capri kommen. Deshalb trage ich wohl als einziger Besucher dieses Rockfestivals einen Diamantring in der Tasche. Hoffentlich klaut mir den keiner der Halbstarken hier und tauscht ihn gegen Dosenbier ein.
    «Haben Sie Feuer?», fragt mich ein junger Typ mit Nasenring und Dreadlocks.
    Frechheit, mich einfach zu siezen! Schnell stecke ich die Hand in die Tasche, schließe sie um den Ring und schüttele stumm den Kopf.
    Die meisten Leute um mich herum sehen aus, als seien sie halb so alt wie ich, also sechzehn. Und was bestimmt ihr Teenagerleben? Genau: die freie, von Herzen kommende Liebe. Darum geht es auch bei mir und Roni.
    Gleich spielt unsere Lieblingsband, die sich vor zehn Jahren getrennt hat und nun wieder zusammen ist. Na gut, wahrscheinlich nicht aus Liebe, sondern wegen des Geldes, aber immerhin sind sie wieder zusammen.
    «Hallo, Schatz, wie war dein Flug?», höre ich Roni hinter mir fragen. Ich drehe mich um. Sie trägt wieder das Ramones -Shirt, das sie an dem Tag anhatte, als wir uns kennenlernten. Ihren Bob hat sie kürzer geschnitten und rotbraun gefärbt. Sie drückt mir einen Kuss auf die Wange und reicht mir einen Konzertbecher Bier. «Dazu gibt’s ein Bussi als Pfand. Will ich aber wiederhaben.»
    Ach Roni, ohne dich wäre ich nie in Bayern gelandet. Eine so natürliche, ehrliche und eigensinnige Frau habe ich zuvor nie getroffen.
    «Du schaust mich an, als wolltest du mir unter die Wäsche gehen», meint Roni. Sie nimmt einen großen Schluck, leckt sich den Schaum von der Oberlippe und nickt anerkennend. «Glück gehabt, die haben ein neues Fass angestochen.»
    Als Doktorandin der Brauereiwissenschaften schmeckt sie so was. Ein Lächeln huscht über ihre Lippen, ein kleines, schüchternes, wie man es an guten Tagen von guten Menschen in der S-Bahn geschenkt bekommt. Roni beherrscht etliche Spielarten: das beiläufige, das verträumte, das traurige, das alberne, das enttäuschte, das schadenfrohe, das verliebte, das besorgte oder das Okay-ich-gebe-dir-noch-eine-Chance-Lächeln. In den vergangenen zwei Jahren habe ich sie alle gesehen – die meisten davon galten mir. Roni kann sogar so breit grinsen, dass Julia Roberts bei ihrem Anblick Minderwertigkeitskomplexe bekommen würde und Dr. Best Frühlingsgefühle. Ich übrigens auch. Es wird höchste Zeit, unsere Beziehung auf die nächste Stufe zu stellen.
    Ich atme tief durch und konzentriere mich auf meinen Plan: Sobald die Roadies die Bühne umgebaut haben, treten die Pixies auf. Sie werden ein, zwei schnellere Stücke spielen, dann ein paar neuere, aber nicht das, worauf alle warten. Erst im letzten Moment, wenn die Eiligen schon ihre Pfandmarken eintauschen, bringen die Pixies ihren großen Hit: «Where is my mind?» – den Song, der meine Generation aus der Kuschelrock-Zeit in die Pubertät geführt hat. Den Song, der die riesige Wiese in ein Feuerzeugflammenmeer verwandeln wird. Den Song, zu dem ich Roni fragen werde, ob sie meine Frau werden will.
    Irgendein Depp hinter mir brüllt aus vollem Hals: «Motörhead! Motörhead!» Weiß der denn nicht, dass die schon gestern gespielt haben? Auf der dunklen Bühne bewegen sich schemenhafte Gestalten. «Motörhead!», schreit der Typ jetzt direkt in mein Ohr. Ich
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