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Haveljagd (German Edition)

Haveljagd (German Edition)

Titel: Haveljagd (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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Tims Hand, denn in der Dunkelheit war kaum etwas zu erkennen.
    Dann beeilte er sich, an die Tür zu kommen, wo er nicht lange auf Kutzner warten musste. Denn kaum, dass er vollkommen außer Atem die drei Schritte überwunden hatte, schoben sich die schweren Riegel auch schon zur Seite.
    »He, Schreiberling, Besuuuuch«, kündigte sich Kutzner an und spürte in dem Moment, da er den Raum betrat, wie sich von hinten etwas über seinen Kopf stülpte und von da nach unten krabbelte.
    Michaelis, der hinter Kutzner stand, zog nach Kräften an dem Sack, den er dem verhassten Kerl übergezogen hatte, schaffte es aber nur bis auf dessen Ellbogenhöhe, dann war der Überraschungseffekt dahin, und Kutzners Widerstand zu groß. Er wehrte sich und wirbelte mit quietschenden Stiefelsohlen um die eigene Achse.
    Da war für Michaelis der entscheidende Augenblick gekommen. Er klammerte seine Finger so fest es ging um das Taschenmesser und rammte Kutzner die etwa zehn Zentimeter lange Klinge in die Brust. Der schrie entsetzlich auf und fiel krachend zu Boden, wobei auch das Messer aus der Wunde rutschte. Aber Michaelis, der mittlerweile hart neben Kutzner gelandet war, handelte wie im Rausch, hob seinen Arm und stach ein weiteres Mal zu. Fester und tiefer als zuvor, hinein in die Brust seines Gegners. Obwohl er sich bei dem Sturz die Ellbogen aufgeschürft hatte, verspürte er keinen Schmerz. Er war so in Trance, dass er kaum wahrnahm, was da gerade geschah. Wieder und wieder zog er das Messer aus dem sich unter ihm aufbäumendem Körper und stach es erneut hinein, immer an eine andere Stelle, und immer so tief es ging.
    Erst als Kutzner sich nicht mehr bewegte, hörte er damit auf und spürte, wie sich in ihm ein seltsames Gefühl von Unwirklichkeit breitmachte. Er sah auf Kutzner hinunter und bemerkte erst jetzt, dass die Lampe, die der mitgebracht hatte, und die ihm während des Kampfes aus der Hand geglitten war, wie ein Spot auf einer Theaterbühne wirkte.
    Dann nahm er in der Stille des Raumes ein leises Wimmern wahr, das sich mit erstickendem Schluchzen abwechselte. Er rappelte sich auf und rutschte auf allen vieren zu Tim. Mit jedem Meter kehrte der Schmerz der alten Verletzungen zurück, zu denen sich der neue, von seinen blutenden Ellbogen gesellte.
    Als er Tim erreichte, hörte der abrupt auf zu stöhnen. »Hat er das getan?«
    »Was?«, fragte Michaelis.
    »Ihr Gesicht. Es ist ganz blutig und hat ganz viele Beulen.«
    Michaelis drehte sich zu Kutzner um, der noch immer reglos im Lichtkegel und im eigenen Blut lag. »Ja. Aber jetzt ist es vorbei.«
    »Es war gar kein Spiel, stimmt’s?«
    »Nein«, Michaelis steckte das Messer ein, »es war kein Spiel. Und deshalb müssen wir ganz schnell weg hier.«
    »Und die Frau?«
    »Die ist so etwas wie der Teufel, und ich hoffe, dass wir ihr nicht über den Weg laufen.«
    »Komisch«, sagte Tim. »Sie war so nett und ich spiele doch so gerne.«
    »Komm«, wiederholte Michaelis seine Aufforderung und griff Tim unter die Achseln. »Ich versuche, dich zu tragen.«
    Er wusste nicht, woher er plötzlich die Kraft nahm, und auch nicht, was seine Schmerzen betäubte, aber es gelang ihm, mit Tim auf dem Rücken, die steile Stiege emporzuklettern. Oben angekommen, atmete er tief durch. Die frische Luft stach in seine Lungen, als wäre sie mit Reißzwecken versetzt. Erst jetzt, als er die schwüle Wärme seines Gefängnisses verlassen hatte, konnte er sagen, was er in den letzten Stunden gerochen hatte. Sie befanden sich auf einem alten Kohlefrachter, einem Schubschiff, das an einem Kai im Silokanal lag, und das gelbliche Licht der Straßenlaternen, die zwischen den Bäumen standen, beschien zwei völlig schwarze Menschen.
    »Du könntest mal duschen«, versuchte er einen Witz und setzte Tim vor sich auf das Oberdeck.
    »Hm«, machte Tim und zog seinen Zeigefinger über den dünnen Unterarm, wo ein heller Strich zurückblieb.
    »Wir müssen weiter«, forderte Michaelis nach kurzer Verschnaufpause und schulterte Tim erneut, der die Arme um seinen Hals legte, was weh tat, er aber jetzt in Kauf nehmen musste.
    »Wo wollen wir denn hin?«
    »Ich weiß es nicht. Nur erst mal weg hier.«
    Michaelis versuchte erst gar nicht, sich umzusehen. Sein Blick war auf das schmale Brett gerichtet, das als Gangway diente. Als er drauf trat, bog es sich gefährlich durch, hielt aber, und nach drei, vier weiteren unsicheren Schritten, konnten sie sich endlich ins hohe Gras fallen lassen, das sie fürs Erste für
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