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Haveljagd (German Edition)

Haveljagd (German Edition)

Titel: Haveljagd (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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nur mal für eine halbe Nacht in deinem Bett gelandet sind, und von denen du nicht einmal mehr die Vornamen kennst. Aber einen so wichtigen Freund verschweigst du? Da stimmt doch irgendwas nicht.«
    Michaelis sah in Manzettis Gesicht und spürte sofort, wie der von einer Sekunde auf die andere wieder zu jenem nüchtern denkenden Polizisten wurde, der Graffiti-Sprayern an den Ohren zog und der sich bei Vernehmungen von Kinderschändern sehr zusammenreißen musste, damit ihm nicht die Hand ausrutschte.
    Er stand auf und ging bis an den Rand der Terrasse, wo er sich gegen einen Balken lehnte, der das Vordach trug. »Natürlich. Du hast ja Recht. Ich habe Kurt erst vor einigen Jahren wiedergetroffen. Bis dahin hatten wir uns fast dreißig Jahre nicht mehr gesehen.«
    Er spürte Manzettis Blick im Nacken.
    »Ich traf ihn bei Recherchen an einer Berliner Schule, an der Kurt Direktor war.«
    »Und?«
    »Was und?« Er drehte sich um. »Wir haben uns lose verabredet, und ich habe leider den einen oder anderen Termin verschwitzt«, sagte er und sah vor sich auf den Boden. Es war ihm sichtlich peinlich. »Trotzdem haben wir uns oft in Berlin getroffen und über Gott und die Welt geredet, bis Kurt plötzlich keine Zeit mehr hatte.« Er nahm sich einen neuen Zigarillo und steckte den zwischen die fleischigen Lippen. »Und gestern, aus heiterem Himmel, hat er endlich wieder einmal versucht, mich anzurufen.«
    »Und?«, fragte Manzetti wieder.
    »Verstehst du das denn nicht?«
    Manzetti schüttelte den Kopf.
    »Er wirkte irgendwie komisch, sagt Lotte.«
    Manzetti schien noch immer nicht sehr beeindruckt zu sein. »Viele Menschen wirken komisch.«
    »Andrea, gib deinem Herzen einen Stoß.«
    Manzetti sog ganz langsam mehrere Liter Luft ein und atmete sie genauso langsam wieder aus. Dann erhob er sich.
    »Ich weiß zwar immer noch nicht, wie du dir meine Arbeit vorstellst, aber das läuft hier nicht wie im Kino. Und wenn dieser Kurt Becher wirklich dein Freund war, dann lass ihn in Frieden ruhen. Das werden deine ehemaligen Kollegen nämlich nicht tun.«
    Manzetti sah ihn an, und Michaelis kam sich vor wie ein Kind, das vor einem Haufen Legosteinen sitzt, von denen keiner auf den anderen passt. Natürlich hatte Andrea Recht. Ein Doppelselbstmord, noch dazu mit einer Pistole, das war Nährboden für die grausamsten Spekulationen der vereinten Medienwelt.
    Manzetti trat auf ihn zu. »Komm mit rein. Ich zeig dir was«, sagte er und ergriff Michaelis Oberarm.
    Als sie zwei Schritte gemacht hatten, blieb Manzetti plötzlich stehen. »Wo hast du eigentlich das Veilchen her?«
    Michaelis griff sich an das schmerzende Auge, das mittlerweile wild in seinem Gesicht pochte. Seit dem Fund der Leichen dröhnte sein Schädel, als hätte der gehörnte Ehemann gestern nicht mit der Faust, sondern mit einem Hammer zugeschlagen, und es ärgerte ihn, dass Manzetti ihn so sah. »Orgasmusschaden«, log er und ging ohne weiteren Kommentar ins Blockhaus.
    Im Schlafzimmer hantierte nur noch Dr. Bremer, die in weiße Overalls gehüllten Kriminaltechniker hatten die Bühne bereits geräumt.
    »Bremer, können Sie schon etwas sagen?«, fragte Manzetti, packte Michaelis wieder am Arm und schob ihn hinter das Bett, so dass er beide Toten gleichzeitig sehen konnte, ohne dass Bremer ihm die Sicht versperrte.
    Da kamen sie wieder, die Bilder jenes Moments, als er Kurt und Eva gefunden hatte, und er schloss erneut die Augen.
    »Erweiterter Suizid«, sagte Bremer gerade. »Ihre Kollegen stützen übrigens diese Theorie. Der Tod trat gestern Abend etwa gegen dreiundzwanzig Uhr ein. Er hat erst sie und dann sich selbst gerichtet. Es gab keinen Kampf, nicht einmal eine umgekippte Vase. Außerdem hatte er die Waffe noch in der rechten Hand, an der unwahrscheinlich viele Schmauchspuren haften, die von der Schussabgabe herrühren dürften.«
    Manzetti drehte den Kopf und sah Michaelis nur an.
    »Aber«, sagte der. »Warum? … Warum sollte Kurt mit mir reden wollen, mich im übertragenen Sinn quasi hierher bestellen, obwohl er weiß, dass er sich und seiner Frau das Leben nehmen wird? Das hat doch keinen Sinn.«
    Manzetti schob Michaelis aus dem Schlafzimmer. »Wir werden vielleicht noch erfahren, welchen Sinn er für sein Handeln sah. Aber vorerst solltest Du einmal versuchen, dich in die emotionale Situation deines Freundes zu versetzen. Ich meine den Zeitraum, in welchem sein Entschluss in ihm reifte.« Manzetti machte eine Pause und sah ihn an.
    Entschluss. So ein
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