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Haveljagd (German Edition)

Haveljagd (German Edition)

Titel: Haveljagd (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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Quatsch. Nie und nimmer würde Kurt so etwas tun.
    Manzetti griff nach seinem Notizblock und blätterte eine Seite um. »Wenn er wirklich so rational war, wie du sagst, dann hat er bestimmt auch an die Zeit nach dem Schuss gedacht. Vielleicht wollte er ja von dir gefunden werden und nicht von einem Fremden oder sogar von der eigenen Tochter.«
    Michaelis legte den Kopf leicht schief. Was hatte Andrea da eben gesagt? Tochter? Dann sah er Manzetti direkt in die Augen.
    »Kurt hatte eine Tochter?«
    Manzetti zog die Augenbrauen zusammen. »Ihr habt euch ja wirklich gut gekannt, oder?« Dann ging der Hauptkommissar an ihm vorbei ins Wohnzimmer.
    »Andrea.« Er folgte Manzetti mit schnellen Schritten. »Erzähl mir etwas über diese Tochter.«
    Manzetti blieb stehen und sah auf seine Uhr. »Frag sie doch selbst. Sie muss in einer halben Stunde hier sein. Ich habe im Moment keine Zeit mehr. Entschuldige mich bitte.« Dann ging er auf die Terrasse, wo sein Team schon auf ihn wartete, und ließ Michaelis alleine im Wohnzimmer zurück.

3
    Michaelis stand im Wohnzimmer des Blockhauses und ließ seine Augen aufmerksam über die gut fünfhundert Bücher schweifen, die mittelmäßig sortiert in einem weißen Regal standen. Es waren überwiegend Bände der sogenannten Unterhaltungsliteratur. Krimis, Komödien und Liebesschnulzen aus dem fernen England. Nur hin und wieder tauchten auch Namen wie Kafka oder Camus auf. Hier hatte Kurt bestimmt selten hineingegriffen, aber wie er Eva kannte, hatte die sich keineswegs für Werke geschämt, die manch ein Kritiker abschätzend der Trivialliteratur zuordnete. Sie las, was ihr gefiel.
    Er zog ein Buch heraus, das mit seinem gelben Rücken deutlich aus der Reihe der dunklen Einbände herausstach, und nahm es mit auf die Terrasse. Es war der Krimi eines deutschen Autors, den er noch nicht kannte, wahrscheinlich auch deshalb, weil der wie viele andere seiner Autorenkollegen von den immer selben Schweden und Amerikanern längst aus den Buchläden verbannt worden war.
    Draußen tastete sein Blick den Weg ab, den die Tochter von Kurt und Eva entlangkommen musste. Aber er sah nur drei uniformierte Polizisten herumlungern, die gelangweilt mit den Füßen durch das Laub stocherten, als seien sie dazu verknackst worden, die sprichwörtliche Nadel im Heuhausen zu suchen.
    Also begann er zur eigenen Ablenkung zu lesen. Schon nach einer Seite verlor er die Lust an dem Buch und sah auf die Uhr. Andrea hatte gesagt, die Tochter brauche etwa eine halbe Stunde. Also waren noch zwanzig Minuten Zeit. Er lehnte sich in seinem Gartenstuhl zurück, klemmte den Zeigefinger zwischen die Seiten und schloss die Augen. Unversehens schlief er ein.
    »Sind Sie Herr Manzetti?« Er schreckte hoch und sah in rot geweinte Augen, die ihm sagten, dass die Tochter von Kurt und Eva vor ihm stand.
    »Nein«, sagte er und legte das Buch neben sich auf den Tisch. »Moment, ich kann ihn aber holen.«
    Das allerdings war nicht nötig, denn der Gesuchte trat just in diesem Augenblick auf die Terrasse. »Frau Becher«, Manzetti reichte ihr die Hand und führte sie dann ins Blockhaus. »Mein aufrichtiges Beileid …«
    Michaelis blieb wieder allein zurück und sah den beiden gedankenverloren nach. Eigentlich mehr ihr. Sie war etwa so groß wie er selbst, also ungefähr einen Meter siebzig und hatte lange, natürlich gewellte Haare. Die waren dunkelblond, ziemlich dunkel sogar, aber offenbar nicht gefärbt, denn einzelne graue Strähnen schimmerten bereits durch. Nicht viele, aber doch genügend, um so etwas wie Natürlichkeit zu suggerieren. Was war ihm sonst noch an der Frau aufgefallen? Ja, richtig. Die Schuhe. Sie trug Camperschuhe. Bequemlichkeit für die Füße, und wenn man andere Schuhe als schick bezeichnete, nannte man diese halt kreativ oder funktionell. Gott sei Dank hatte die Werbung für alles ein positives Attribut.
    Mitten in seine Gedanken trat Kurts Tochter wieder auf die Terrasse und starrte geistesabwesend auf den See. Sie bewegte sich nicht, nur ihre Lippen bebten im Takt einer Nähmaschine.
    »Mein Name ist Werner Michaelis.« Er trat ganz dicht neben sie. »Ich war ein Freund Ihrer Eltern.«
    Sie sah ihn stumm an, fragend, wie er fand, und mit tränengefüllten Augen.
    »Ein Schulfreund«, fügte er hinzu. »Ihr Vater und ich besuchten dieselbe Schule.«
    »Ach so.« Sie sprach mit leiser, monotoner Stimme und schaute wieder auf den See.
    »Kurt … ich meine, Ihr Vater und ich … wir bewohnten im Internat ein
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