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Haveljagd (German Edition)

Haveljagd (German Edition)

Titel: Haveljagd (German Edition)
Autoren: Jean Wiersch
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Oberschenkel wippte. Bereits mit einem Fuß im Flur verharrte sie in der Bewegung.
    »Herr Manzetti«, sagte sie mit entschlossenem Blick, »meine nächste Frage lautet: Warum schoss sich Kurt Becher einen Tag nach seinem Besuch bei Dr. von Woltersbrück in den Kopf?«
    Dann schloss sie hinter sich die Tür.

    ***

    Es war kurz nach dreizehn Uhr, als Manzetti schnaufend die Stufen zum Städtischen Klinikum hochstiefelte, auf dessen Hof die Gerichtsmedizin lag. Er musste unbedingt wieder mehr Fahrrad fahren oder laufen, wenn er nicht in wenigen Jahren wie ein Sumoringer aussehen wollte. Jetzt aber war er anstrengend, der Weg zu Dr. Bremer, einem Mann, von dem Claasen behauptete, dass sich auf dem wahrscheinlich nicht einmal Insekten niederließen.
    Manzetti sah das allerdings anders. Im Laufe seiner langen Dienstzeit bei der Kriminalpolizei waren ihm einige Gerichtsmediziner begegnet. Darunter waren neben richtig guten auch solche, die sich beim Herausquetschen von möglichst vielen Fremdwörtern fast einen Knoten in die Zunge machten, aber auch solche, die besser eine andere Fachrichtung eingeschlagen hätten, weil sie sich ihrer Verantwortung nicht wirklich bewusst waren.
    Und Bremer zählte er eher zu den guten. Der war sogar so etwas wie eine internationale Kapazität gewesen, hatte im Auftrag der UNO in fast allen Krisenregionen dieser Welt die Opfer diverser Diktatoren seziert und dabei leider den Zeitpunkt verpasst, an dem er hätte aussteigen müssen. Irgendwann war der beißende Tequila nämlich zu seinem ständigen Begleiter geworden und der vertrieb nicht nur die Mücken, wie Claasen meinte, sondern auch Frau und Freunde. Deshalb saß Bremer nun seit fünf Jahren in Brandenburg fest, jammerte darüber allerdings nicht, denn er war klug genug, diese Station als das zu sehen, was sie war. Die letzte in seinem Berufsleben.
    »Commissario Manzetti«, winkte er überschwänglich und mit viel schauspielerischem Talent. »Ich begrüße Sie in meinen heiligen Hallen.« Er deutete auf einen Stuhl, der hinter der Tür stand und rieb sich die Hände. »Dann sind wir ja endlich komplett.«
    Manzetti blickte sich um. »Wieso? Wer ist denn noch hier?«
    Die Frage bot sich zweifelsohne an, denn auf den weißen Kunstlederstühlen, die mit der Lehne an der Wand des großen Sektionssaales standen, saß sonst niemand. Besorgt betrachtete er den Gerichtsmediziner. Ab welchem Pegel bekam Bremer Gäste, die außer ihm niemand sehen konnte?
    »Nur wir beide sind hier«, sagte Bremer und zog die Augenbrauen ziemlich weit nach oben. »Und die Leichen natürlich.«
    Vorerst war Manzetti durch diese Antwort beruhigt. Vorerst, denn trotz der hohen Konzentration von Desinfektionsmolekülen in der Luft, konnte er deutlich Bremers Fahne ausmachen. Er ging zum Fenster und öffnete beide Flügel. Bei dieser Melange würde er es nicht einmal eine halbe Stunde aushalten.
    »Was haben Sie denn außer den Einschüssen noch gefunden?«
    »Nichts«, offenbarte Bremer und hob entschuldigend die Hände. »Nicht mal einen winzigen Einstich.«
    »Gar nichts?«, fragte Manzetti ungläubig nach.
    »Nein, gar nichts. Selbst die Standardblutwerte sind vollkommen in Ordnung, wenn wir einmal davon absehen, dass der Adrenalinwert ziemlich hoch ist.«
    Manzetti nahm den Blick von Bremer und sah zu den Leichen. »Aber das ist doch eher normal, wenn beide nahezu zeitgleich und freiwillig aus dem Leben scheiden, oder?«
    »Genau. Schreiben wir es ihrer Aufregung zu. Und die kann man beim ersten Selbstmord noch haben. Später soll sich das geben.«
    Manzetti setzte sich. »Also spricht wirklich alles für den erweiterten Suizid.«
    »Ich kann nichts anderes behaupten.« Bremer setzte sich auch, allerdings auf den Boden, und legte die Füße übereinander. »Soll ich noch mehr untersuchen?«
    »Nicht nötig«, sagte Manzetti.
    »Na, dann ist der Fall wohl gelöst?«
    Manzetti strich sich mit dem Zeigefinger über die Nase. »Das will ich hoffen.«
    »Was macht Sie so unsicher?«
    »Ich weiß es nicht«, musste er einräumen. »Es ist nur so ein Gefühl.«
    »Und woher kommt das, wenn ich fragen darf?«
    Manzetti sah zu Bremer. »Sie werden es nicht glauben: von Werner Michaelis.«
    Bremer machte sich nicht die Mühe, seine Verblüffung zu verbergen. »Von einem machthungrigen Journalisten?«
    »Nein«, sagte Manzetti mit nachdenklicher Miene. »Von einem machtlosen Freund.«

5
    Manzetti ging zu Direktor Claasen und setzte ihn in Kenntnis, dass Bremer nichts
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