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Haut

Haut

Titel: Haut
Autoren: Mo Hayder
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rechts von ihr bewegte sich etwas. Sie riss die Lampe herum und spähte in den Lichtstrahl; sie pendelte aus und schwebte horizontal im Wasser. In Steinbruch Nummer acht lebten keine Fische. Er war vor Jahren geflutet worden, und das Unternehmen hatte niemals welche eingesetzt. Bäche waren auch nicht in der Nähe, also würde es nicht mal Krebse geben. Außerdem - was sich da bewegt hatte, war kein Fisch. Es war zu groß gewesen.
    Ihr Herz schlug tief in der Brust. Sie atmete gleichmäßig - zu tief, und sie würde aufsteigen, zu flach, und sie würde Auftrieb verlieren. Hier unten sollte und konnte sich nichts bewegen, denn es gab auch keine Strömung. Alles sollte still sein. Langsam schwamm sie auf die Stelle zu, wo sie die Bewegung bemerkt hatte.
    »Sarge?« Wellard hatte oben sofort gemerkt, dass sie den Kurs gewechselt hatte. »Alles okay?«
    »Ja, ja. Geben Sie mir noch ein Bar.«
    Wenn sie tiefer ging, war es Wellards Aufgabe an der Steuereinheit, den Druck der Luft zu erhöhen, die durch die Nabelschnur zu ihr herunterkam. Sie drehte sich um und leuchtete mit der Lampe hinter sich, um zu sehen, wie weit sie sich von dem Netz entfernt hatte. Wahrscheinlich war sie ungefähr siebenundvierzig Meter tief und ging langsam tiefer. Noch drei Meter, und sie hätte die vorgeschriebene Tauchgrenze erreicht. »Ja - auf sechzehn.«
    »Sechzehn Bar? Das bringt Sie auf...«
    »Ich weiß, wohin es mich bringt. Lassen Sie das meine Sorge sein.«
    Sie schwamm weiter und streckte jetzt die Hände vor sich aus, weil sie nicht sicher war, was sie erwartete. Achtundvierzig Meter. Neunundvierzig. Jetzt war sie da, wo sie die Bewegung gesehen hatte.
    »Sarge? Wissen Sie, wie tief Sie sind?«
    »Halten Sie«, flüsterte sie. »Halten Sie mich stabil.«
    Sie richtete die Lampe nach oben und schaute in die Höhe. Es war eine ungemütliche Haltung, denn die Maske wollte sich heben, sodass Wasser eindringen konnte. Sie drückte sie mit den Fingerspitzen ans Gesicht und spähte in den silbrig sprudelnden Strom der Luftblasen, die in einer langen Kolonne zielstrebig über ihr hochstiegen - zur Oberfläche, die jetzt so weit entfernt war, dass man sie nicht mehr erkennen konnte. Da befand sich etwas in dieser funkelnden Säule. Flea war sicher. Etwas Dunkles schwamm da oben. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Waren das nackte Fußsohlen?
    »Sarge, das reicht. Sie sind über fünfzig. Können Sie mich hören?«
    »Hey, Wellard«, flüsterte sie. Die Luftblasen waren verschwunden, hatten sich aufgelöst in frostige Zacken aus Licht. Plötzlich sah alles wieder so aus, wie es sein sollte. Das Wasser war leer. »Ist hier noch jemand drin?«
    »Noch jemand?«
    »Ja«, fauchte sie; es sollte nicht klingen, als hätte sie Angst. Hoffentlich waren die Lautsprecher leise gestellt. Nicht jeder am Ufer brauchte ihre Stimme zu hören. »Schwimmt außer mir noch jemand hier herum? Das müssten Sie doch mitbekommen haben.«
    Pause. Ein kurzes Zögern. Dann seine Stimme, ein wachsamer Unterton. »Boss? Sie wissen, dass Sie weit drüber sind, oder? Vielleicht wird's Zeit, den zweiten Mann runterzuschicken.«
    N2-Narkose, meinte er. In dieser Tiefe war es leicht, von der desorientierenden, giftigen Wirkung überwältigt zu werden, die Stickstoff unter hohen Druckverhältnissen haben konnte. Sie dachte und reagierte, als hätte sie einen Nachmittag im Pub verbracht. Eine Halluzination wie diese vorhin war das klassische Merkmal einer N2-Narkose. Sie starrte den Luftblasen nach. Da war etwas Dunkles gewesen, so groß wie eine große Schildkröte. Aber ohne Panzer. Es war glatt und haarlos gewesen, agil und kräftig. Mit den Füßen eines Menschen.
    »Ich habe keine Narkose, Wellard, ich schwör's Ihnen. Sagen Sie mir nur, dass hier unten nicht noch jemand herumschwimmt. Das ist alles.«
    »Da ist sonst niemand, okay? Und der Rettungstaucher bereitet sich jetzt vor.«
    »Nein.« Ihre Nabelschnur war hinter ihr an einem Grat oder einem Stein hängen geblieben. Gereizt hob sie die Schultern, wedelte mit der rechten Hand und spürte, wie das Kabel sich wieder löste und freikam. »Nicht nötig, dass jemand herunterkommt. Ich bin hier fast fertig.«
    Wellard hatte natürlich recht. Wenn es sich um eine Narkose handelte, dann sollte sie herauskommen. Aber sie brauchte noch eine Minute, um sich zu vergewissern, dass sie alles abgesucht hatte. Also neigte sie sich nach unten, und es fühlte sich gut an, wie der Druck auf der Maske nachließ. Sie leuchtete
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