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Haut

Haut

Titel: Haut
Autoren: Mo Hayder
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Nacken. Licht blendete ihre Augen. Sie atmete noch einmal ein, schleuderte die Arme zur Seite und hustete. Die Luft war trocken in ihrer verdorrten Lunge. Beim nächsten panischen Atemzug spürte sie, wie ihr Herz wieder schlug, wie das Blut in ihren Schläfen hämmerte. Noch einmal einatmen. Sie ruderte blindlings mit den Armen, und die Anzeigen ihrer Ausrüstung und der Lungenautomat bewegten sich wie Tentakel um sie herum, als sie sich im Wasser aufrichtete. Wellard hatte sie in seiner Panik auf dem Grund entlanggeschleift. Schlick war aufgewirbelt und wallte um sie herum wie Rauch. Schlaff hing sie im milchigen Wasser und ließ sich an der holprigen Wand entlangziehen.
    Mum?
    Aber das Wasser rauschte an ihr vorbei, und sie hörte nur Wellards panische Stimme aus dem Kopfhörer. »Sind Sie da, Sarge? Um Gottes willen, antworten Sie doch!«
    »Alles okay.« Sie hustete. »Sie können jetzt aufhören, mich zu ziehen.«
    Jäh lockerte sich die Leine, und Flea bewegte sich nicht weiter. Sie schwebte mit dem Gesicht nach unten im Wasser, ihre Hand lag immer noch auf dem Notschalter. Sie starrte auf die Stelle, wo sie ihre Mutter gesehen hatte. Das Wasser war leer. Noch eine Halluzination.
    Sie begann zu zittern. Es war knapp gewesen. Sie hatte gegen die Sicherheitsvorschriften verstoßen und eine Notaktion ausgelöst, und das ganze Team hatte gehört, wie sie in einen Tiefenrausch geriet. Sie hatte sich dabei sogar in die Hose gemacht; sie spürte, wie es nass in ihrer Neoprenkleidung herunterlief.
    Aber das war egal. Eigentlich war es egal. Sie lebte noch. Sie lebte. Und so würde es bleiben.
     

3
    Die Major Crime Investigation Unit - MCIU, das Dezernat für Schwerverbrechen der Polizei von Bristol - hatte es mit einem der berüchtigtsten Fälle seiner Geschichte zu tun. Bis vor wenigen Tagen war Misty Kitson eine B-Prominente gewesen, landesweit nur dafür bekannt, dass sie eine weitere Fußballergattin war, die sich genug Kokain in die Nase gezogen hatte, um sie von innen heraus zu zerstören und die Scheidewand zu zerfressen. Monatelang hatte die Presse sich darum gerissen, Bilder von ihrer Nase zu bekommen. Jetzt riss sie sich darum herauszufinden, was passiert war, als sie aus einer Rehaklinik am anderen Ende von Somerset hinausspaziert und nie wieder gesehen worden war.
    Die Polizei hatte das Land rings um die Klinik nach ihr abgesucht und in einem Radius von zwei Meilen jedes Haus auf den Kopf gestellt, jeden Wald durchkämmt, in jeden Viehstall geschaut. Es war beispiellos - die größte Geländefahndung, die die Polizei jemals unternommen hatte, und das Ergebnis gleich null. Keine Leiche. Kein Hinweis. Misty Kitson hatte sich in Luft aufgelöst.
    Die Öffentlichkeit war fasziniert von diesem Rätsel und der Einheit, die hier ermittelte. Sie betrachtete das Dezernat für Schwerverbrechen als Eliteteam: eine Gruppe von engagierten und erfahrenen Männern, die ihre ganze Energie auf den Fall verwandten. Sie stellte sich vor, wie diese Männer in ihren Köpfen, ja in ihrem ganzen Leben nur noch Platz für diesen Fall hatten, wie sie sich ausschließlich ihm widmeten. Im Großen und Ganzen stimmte das auch: Die Polizisten, die den Fall bearbeiteten, waren wild entschlossen, Misty zu finden.
    Das heißt, alle bis auf einen.
    Nur ein Mann hatte Mühe, sich auf Misty zu konzentrieren. Ein Mann stellte fest, dass sein Kopf, was immer er eigentlich tun und wie viel Zeit er auch darauf verwenden sollte, Misty Kitson zu suchen, sich immer nur in eine Richtung bewegte, nämlich rückwärts. Zurück zu einem anderen Fall, an dem er in der Woche zuvor gearbeitet hatte. Zu einem Fall, den er zu den Akten hätte legen und hinter sich hätte lassen sollen.
    Dieser Mann war Detective Inspector Jack Caffery.
    DI Caffery war neu bei der MCIU, aber er hatte fast zwanzig Jahre Erfahrung, hauptsächlich bei der Mordkommission der Metropolitan Police London, und nie ein Problem damit, einen Fall loszulassen.
    Aber er hatte auch noch nie einen Fall bearbeiten müssen, der ihm Angst einjagte.
    Nicht wie es Operation Norwegen getan hatte.
    Um halb neun am Morgen nach Fleas Unfall in Steinbruch Nummer acht saß Caffery am anderen Ende der Stadt in seinem verdunkelten Büro im Gebäude des MCIU in Kingswood. Er hatte die Jalousien heruntergelassen und die Tür geschlossen und sah sich eine DVD an.
    Sie zeigte zwei Männer in einem unbeleuchteten Zimmer in einem verwahrlosten, leer stehenden Mietshaus. Der eine Mann war neunundzwanzig,
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